Mit Kultur Spaltung überwinden
Die Menschen in Chemnitz und der Region sind sich uneins. Das war schon vor Corona so. Wahlen, Demonstrationen oder auch massive Rückzüge ins eigene Umfeld, welches ein Verstummen vieler Menschen in der Öffentlichkeit mit sich bringt, zeigen tiefe Gräben in der hiesigen Gesellschaft. Diverse Kulturschaffende haben es sich jedoch zur Aufgabe gemacht, Brücken zu bauen und die Spaltung zu überwinden. Manche von ihnen sind damit schon seit vielen Jahren beschäftigt - andere kürzer, viele seit 2018.
„Die Ereignisse“, wie viele Chemnitzer*innen die Ausschreitungen Rechtsextremer im Nachgang des Todschlags am Rande des Chemnitzer Stadtfestes vor drei Jahren nennen, war für viele Menschen in der Stadt, aber auch in der Region eine Initialzündung, ein Weckruf. Es wurde sichtbar, was viele ahnten: Wie viele Rechte innerhalb von kurzer Zeit mobilisiert werden konnten, wie wenig Gegenwehr es gab. Und wie schnell so ein „Wir sind mehr“-Konzert vorbei und die Jugend wieder verschwunden sein kann. Die darauffolgenden Landtags- und Kommunalwahlen, die rechtskonservativen bis rechtsextremen Parteien wie der AfD oder Pro Chemnitz gute Ergebnisse bescherten, sowie die Maßnahmenverweigerung und der Impfunwille vieler in der Corona-Pandemie überraschten niemanden mehr. Eine Reihe von Kulturschaffenden hat es sich jedoch zur Aufgabe gemacht, Brücken zu bauen und die Spaltung zu überwinden.
Langmachen - aber positiv
Schon kurz nach „den Ereignissen“, im Herbst 2018, luden die Buntmacher*innen, die sich zu diesem Zeitpunkt selbst erst kurz kannten, alle Chemnitzer*innen zum Gespräch. Als Ort wählten sie den Chemnitzer Stadthallenpark, ebendort, wo es noch wenige Wochen zuvor zu Ausschreitungen Rechtsextremer gekommen war. Es gab Kaffee und Kuchen – und Raum für Gespräche. Eine Handreichung an die Bewohner*innen einer Stadt, deren Zwiespalt für einige Tage weltweit sichtbar wurde. „Wir denken, man muss miteinander ins Gespräch kommen, um Gräben zu schließen“, erklärt Anett Linke. Sie war schon bei der Gründung der Gruppe im September 2018 dabei.
„Uns hat geeint, dass wir glauben, dass es nicht sinnvoll ist, wenn beide Seiten sich einfach nur anschreien“, sagt sie. Oft gebe es eine Demonstration und eine Gegendemonstration, dazwischen liegt ein sprichwörtlicher Graben. Die Überwindung von Gräben, das Eintreten für Kommunikation und Toleranz hat sich die Gruppe seitdem auf die Fahnen geschrieben. Seit dem vergangenen Jahr sind sie ein eingetragener Verein, der Buntmacher*innen e.V., 17 Menschen sind darin aktiv. Ihre Aktionen finden stets im öffentlichen Raum statt, sollen für alle zugänglich sein – auch im physischen Sinne. Meist sind es Mitmachaktionen und Gesprächsangebote. Etwa zum Thema geschlechtersensible Sprache mit Diskussionsrunde auf dem Brühl im Vorjahr, bei Filmvorführungen mit Nachgespräch. Oder ein Lichterlauf am 9. November, der etwa am Stephanplatz vorbeiführte, an dem Nationalsozialisten an diesem Tag 1938 die Chemnitzer Synagoge zerstörten. „Wir wollen Geschichte sichtbar machen“, erklärt Mike Tasche. Auf der Route wurde Musik und Kultur geboten, viele Teilnehmende trugen Lichter mit sich. Transparente wurden untersagt.
„Wir wollen niedrigschwellig sein und viele fühlen sich durch Demonstrationen abgeschreckt, wollen mit ihren Kindern kommen und sich nicht vereinnahmen lassen“, erklärt Anett Linke. So wolle sich ihr Verein auch nicht mit einzelnen Parteien gemein machen, sondern sich eher für Werte wie Demokratie, Toleranz und Vielfalt stark machen. Etwa mit ihrer Aktion „Mach dich lang für Demokratie“ im Sommer 2021, im Vorfeld der Bundestagswahl. Sie gestalteten kunstvolle Kronkorken mit eben diesen Wertbegriffen und brachten sie im gesamten Stadtgebiet zum Beispiel an Laternenmasten an. Wer einen der Kronkorken haben möchte, muss sich strecken – also lang machen. Dass diese Gebilde, die etwa als dekorative Kühlschrankmagnete genutzt werden können, nicht nur im Zentrum der Stadt angebracht werden, darauf legt der Verein großen Wert. „Aktionen müssen viel dezentraler stattfinden, damit sich einzelne Stadtteile nicht mehr abgehängt fühlen“, sagt Anett Linke. Auch für künftige Veranstaltungen wollen sie und ihre Mitstreiter*innen in verschiedene Stadtteile ziehen und dort zur Teilhabe, zum gemeinsamen Kulturgenuss, aber auch zum Gespräch einladen.
In ihrem Herbst-Projekt, welches in den kommenden Wochen veröffentlicht werden soll, wollen die Buntmacher*innen übrigens nicht Vielfalt schaffen, sondern vorhandene Vielfalt zeigen. Sie riefen Chemnitzer*innen auf, ihre Hobbies zu präsentieren. Mehrere Dutzend Personen folgten dem Ruf, darunter auch welche mit ungewöhnlichen Tätigkeiten wie Bogenschießen zu Pferd oder das Sammeln von Teddybären. Sie alle werden nun auf Plakaten verewigt, die im Stadtgebiet aufgehängt werden. „Wir wollen zeigen, dass Kultur mehr sein kann als Theater“, sagt Mike Tasche.
Geld für Demokratie: Wie der lokale Aktionsplan unterstützen will
Um sichtbare Vielfalt in einer Stadt- und Zivilgesellschaft sowie ein Miteinander, was auch wirklich alle Menschen einschließt, herzustellen, braucht es Geld. Um dieses auch längerfristig für die jeweiligen Akteur*innen bereitzustellen, beschloss der Chemnitzer Stadtrat im Jahr 2008 den Lokalen Aktionsplan für Demokratie und Toleranz, gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt – kurz LAP. Die Wirkung des LAP soll sich, wie es im Beschlusspapier niedergeschrieben ist, auf zwei Ebenen entfalten: Einerseits soll er Aussagen zur jeweils aktuellen Situation und den Problemfeldern treffen sowie eine Analyse der Maßnahmen und Aktivitäten, die ihnen aus Netzwerken, Erfahrungen, Multiplikator*innen und Projekten entgegengestellt werden. Andererseits sollen konkrete Posten finanziell gefördert werden. Er umfasst ein breites Maßnahmenpaket: die Stützung der Gewaltprävention, Demokratieförderung, Bildungsangebote – und auch Kultur soll durch den LAP gefördert und finanziert werden. Bestärkt wird der LAP durch das Bundesprogramm „Demokratie leben“.
Die Umsetzung des LAP begann im Jahr 2009, seitdem wurde er mehrfach fortgeschrieben, konkretisiert und weiter ausgearbeitet. Für die Koordinierung des LAP sowie die Verwaltung und Ausschüttung der finanziellen Mittel ist Ines Vorsatz zuständig. Ihr zur Seite steht ein Begleitausschuss mit 17 stimmberechtigten Mitgliedern des Ämternetzwerkes der Stadt und aus der Zivilgesellschaft, die vom Stadtrat bestimmt wurden. Sie geben ein Votum ab und Empfehlen der Koordinierungsstelle, welche Projekte finanziell gefördert werden sollen. Auch die fachliche und strategische Handlungsausrichtung des LAP wird in diesem Gremium beraten. Laut Ines Vorsatz funktioniert diese Handlungsweise bislang gut.
„Unser Ziel, Akteur*innen, Vereine, Gruppen und auch Privatpersonen zu ermächtigen, ist bislang voll aufgegangen“
Ines Vorsatz, Koordinatorin des LAP in Chemnitz
Zudem sei es in Deutschland einmalig, dass ein Stadtrat seit mehr als zehn Jahren jährlich beschließt, demokratiefördernde Projekte mit 80.000 Euro zu fördern, erklärt Ines Vorsatz. Zu den Mitteln der Stadt kommen noch Gelder von Bund und Freistaat. Laut der Koordinatorin könne man allein im laufenden Jahr fast eine halbe Million Euro in die Bereiche der Demokratieförderung und Gewaltprävention fließen lassen. Welche Projekte im Detail gefördert werden, darüber gibt die Stadt Chemnitz auf ihrer Webseite Auskunft. Zu ihnen gehören unter anderem das Chemnitzer Jugendforum, Projekte des Vereins AG In- und Ausländer, die Interkulturellen Wochen in Chemnitz, Menschenrechtstheater im Haus Arthur und das Projekt „Offener Prozess“ des Vereins ASA ff, welches sich mit der Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) beschäftigt. Die hohe und recht vielfältige Zahl der gestützten Aktionen, Vereine und Initiativen ist durchaus gewollt: „Wir fördern kleine Leuchttürme, die in ihr eigenes kleines soziales Umfeld hineinleuchten. Dort können sie Spaltungen überwinden und mit den Menschen reden“, umreißt Ines Vorsatz die Strategie des LAP.
Die Angebote richten sich laut der Koordinatorin vor allem an drei Menschengruppen: Menschen stärken, die von Demokratie überzeugt sind, 2. sich mit denen beschäftigen, die Opfer sind und 3. niedrigschwellige Angebote für Menschen schaffen, die von Demokratie und Vielfalt überzeugt werden können. „Bei Neonazis und anderen radikalen Weltanschauungen wird jedoch eine rote Linie überschritten“, so Vorsatz. Mit Sorge betrachten sie und ihre Kollegen das Erstarken radikaler Gruppierungen, den Zuzug von Neonazis aus den alten Bundesländern. Auch die Arbeit der Verwaltungsebene mit dem Stadtrat sei in den vergangenen Jahren nicht leichter geworden. Nach der Kommunalwahl im Jahr 2019 veränderten sich mit dem Erstarken rechtskonservativer Parteien die Machtverhältnisse im Stadtrat. „Wir verstecken uns nicht und gehen offensiv damit um“, erklärt Vorsatz. Insgesamt mache ihr die Entwicklung in der Stadt jedoch eher Hoffnung, da auch das Engagement für Vielfalt und Demokratie in den vergangenen Jahren massiv gewachsen sei. Ihrer Ansicht nach gibt es zunehmend mehr Akteur*innen und Vereine, die sich auf kreative Weise für eine breit aufgestellte Gesellschaft einsetzen – auch im kulturellen Bereich. „Es ist eine vielfältige und wunderbare Zivilgesellschaft, die wir hier haben“, sagt Ines Vorsatz.
Basisarbeit im Hinterland: Verein will Blasen aufbrechen
Für progressive Gedanken, Toleranz und Jugendkultur ist das Erzgebirge nicht wirklich bekannt – manchmal steht die Region eher fürs Gegenteil. Der Verein Agenda Alternativ versucht, diese Werte dennoch in der Region rund um Schwarzenberg zu vermitteln und hochzuhalten – mit Bildungsarbeit und Kulturangeboten. „Für mich bedeutet das die Möglichkeit, Menschen Inhalte zu vermitteln und sie davon abzuhalten, in die rechte Ecke abzudriften“, erklärt Eric Heffenträger. Der 33-Jährige ist schon seit über zehn Jahren im Verein aktiv.
Der Verein habe sich ursprünglich aus einem Freundeskreis heraus gegründet, man habe Alternativen zu den bestehenden gesellschaftlichen Angeboten der Region schaffen wollen, unabhängig von Kirchen und Feuerwehren, erklärt er. Etwa ein Dutzend Aktive gehören dazu, sowie ein Umfeld von etwa 30 bis 40 Personen. Ein Motto des Vereins lautet: „Color your Hinterland“. „Vor Ort im Erzgebirge erleben wir von Konservativen bis streng Konservativen eine Mehrheitsbewegung in der Bevölkerung. Ansichten aus der rechten Ecke finden viel Wiederhall – andere Lebensentwürfe werden eher kritisch beäugt“, erklärt Heffenträger. Seiner Ansicht nach ist dies aber auch der Tatsache geschuldet, dass es zu wenig Berührungspunkte mit anderen Lebensentwürfen vor Ort gibt.
„Man muss die oft sehr geschlossenen Blasen, in denen sich die Menschen befinden, aufbrechen. Wenn da einmal Kontakt besteht, lässt sich oft noch etwas drehen.“
Eric Heffenträger, Agenda Alternativ e.V.
Also wirkt sein Verein gleich auf mehreren Ebenen. Zum einen sollen Menschen, vor allem junge Menschen, ermächtigt werden, selbst zu Multiplikator*innen einer vielfältigen Gesellschaft zu werden, etwa durch Bildungsangebote und Workshops. Zum anderen wollen die Aktiven niedrigschwellige Kontaktmöglichkeiten schaffen und damit Offenheit erzeugen. „Wir haben da viel ausprobiert und wissen: Kultur hat die Kraft dafür“, erklärt Eric Heffenträger.
Während klassische Vorträge und Workshops zwar inhaltliche Tiefen erreichen könnten, sprächen diese oft keine breiten Zielgruppen an, sondern eher Menschen, die sich eh schon für das betreffende Thema interessieren. Wirksamer seien Konzerte und Filmvorführungen. „Kultur sollte vor allem niedrigschwellige Zugänge für möglichst viele Menschen schaffen“, sagt er. Um auch wirklich alle abzuholen, setzt Agenda Alternativ auf intensive Pressarbeit, Zusammenarbeit mit anderen Lokalen Akteur*innen – etwa, wenn es um den Einkauf von Getränken für Veranstaltungen geht – und direkten Kontakt.
So war der Verein auch schon mit einem Infostand auf dem Tag der Sachsen vertreten, um auf sein Angebot aufmerksam zu machen. „Unser Ziel ist es, die schweigende Mehrheit zu erreichen. Denn viele Menschen getrauen sich nicht, etwas zu sagen, oder haben noch nicht genug Wissen, um sich zu äußern“, sagt er. Zudem gelte es, die Menschen der Region für Themen, etwa Rechtsextremismus, zu sensibilisieren, um sie zu bestärken, selbst eine klare Kante zu zeigen. Ein Leuchtturm-Projekt, mit dem der Verein einmal im Jahr über das Erzgebirge hinaus strahlt, ist das Festival „Stains in the Sun“, welches ursprünglich in Schwarzenberg, seit einigen Jahren jedoch am Oberbecken in Markersbach ausgetragen wird. Dort spielen dann vor allem alternative Bands, zu hören sind Musikrichtungen wie Ska, Punk und Electro. Dann kommen Besucher*innen aus Chemnitz, Leipzig und anderen Städten ins Erzgebirge und können sich davon überzeugen, dass das Hinterland durchaus bunt sein kann – für die Menschen vor Ort ist es gleichzeitig ein Zeichen: Sie sind nicht allein. Das Wort Hinterland benutzt Eric Heffenträger, wie er selbst sagt, nicht negativ. Für ihn ist es eine Zuschreibung von außen, die oft negativ belegt ist, für seinen Verein istes eine Chance, sagt er. sah