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#FREUNDLICHEUEBERNAHME

Im Spagat aus Alt und Neu. UNTERNEHMENSNACHFOLGE IM DOPPELPACK

Den Entschluss, die Nachfolge in der Führung eines Unternehmens anzutreten, kann man lang reifen lassen – oder recht spontan treffen. Doch egal, welchen Weg man wählt: Es gilt abzuwägen, welche der übergebenen Strukturen, Prozesse oder Rituale man beibehält und an welchen Stellen der neue Besen gut kehren soll. Chemnitz Inside hat zwei Unternehmen besucht – im einen sind die Nachfolger* innen schon mehrere Jahre am Werk, im anderen erst seit wenigen Wochen. Doch für beide Fälle gilt: Es ist gut, wenn man bei der Nachfolge nicht auf sich allein gestellt ist.

Manche Geschichten sind zu schön, um sie nicht zu erzählen. Etwa die, wie die GUNTER HÜTTNER + Co. GmbH Bauunternehmung zum „+“ in ihrem Namen kam. „Als unser Vater die Firma am 1. Oktober 1990, zwei Tage vor der Wiedervereinigung, angemeldet hat, gab es im Amt nur eine DDR-Schreibmaschine. Und die hatte kein Kaufmanns-Und, wie es für diese Gesellschaftsform eigentlich üblich wäre“, erzählt Daniel Hüttner. Seit über 34 Jahren hält sich das + als ein Relikt alter Zeiten. Auch die Übernahme der Bauunternehmung durch die Geschwister Daniel und Linda im Jahr 2016 änderte nichts daran.

Dass sie das Unternehmen, das ihre Eltern aufgebaut hatten, einmal führen würden, stand nicht von Beginn an fest, erzählen die beiden. Genau genommen hatte das gleich zwei Gründe: „Die Zukunft des Unternehmens hing Anfang der 2000er Jahre aufgrund der eingebrochenen Nachfrage am seidenen Faden – für uns war in dieser Zeit nicht klar, ob es etwas zum Übernehmen geben würde. Unser Vater wollte uns auf keinen Fall einen Berg Schulden hinterlassen“, nennt Linda Hüttner den ersten. Der zweite Grund sei die Frage gewesen, ob sie sich der großen Verantwortung stellen wollten: Kontinuierlich Aufträge für hunderte Mitarbeiter akquirieren und stetig einsatzbereit zu sein für das Unternehmen, wie sie das bei ihren Eltern erlebt hatten.

Dabei war beiden Geschwistern früh klar, dass sie ihre berufliche Zukunft im Bauwesen sehen. Schon die Großeltern in Cottbus waren Bauleute. „Und wir waren oft auch mit auf den Baustellen und nah dran an der Tätigkeit unserer Eltern“, erinnert sich der drei Jahre ältere Daniel Hüttner: „Für mich stand deshalb früh fest, dass ich Bauingenieur werden will.“ Auch seine Schwester sagt: „Mir ist wenig eingefallen, was ich lieber getan hätte.“

Weil sie in jungen Jahren festgestellt hatte, dass man es als Frau auf dem Bau nicht immer ganz leicht hat, absolvierte sie zunächst eine Ausbildung als Stuckateurin, schloss sie als Jahrgangsbeste ab – und setzte dann ein Architekturstudium obendrauf. In der Schlussphase ihres Studiums belegte Bruder Daniel ein Zimmer ihrer Dresdner Studenten-WG: „Ich habe erstmal nicht im elterlichen Unternehmen gearbeitet. Aber 2006 gab es einen Auftrag in Dresden und mein Vater sagte: Entweder du machst hier den Bauleiter – oder ich stelle jemanden ein.“ Er gab dem sanften Druck nach. Auch

Linda Hüttner ging die ersten beruflichen Schritte außerhalb des elterlichen Unternehmens. Als aus Familienplanung Familiengründung wurde, stieg sie dann ein – als Assistentin der Geschäftsführung: „Unser Vater hat dann schrittweise Aufgaben abgegeben – Abendtermine und Einladungen, Personalarbeit, digitales Marketing“, erinnert sie sich. Auch die zunehmenden Lasten der Bürokratie übergab er an die Kinder: „Nach der Wende gab es zwischen Verwaltungen und Wirtschaft den Konsens, dass Aufbruchstimmung herrscht. Später wurde Pragmatismus mehr und mehr durch Regelungen ersetzt. Heute gibt es für alles eine Vorschrift. Da hat man dann als gestandener Geschäftsmann nicht immer Lust, alles mitzumachen, weil Aufwand und Nutzen in einem Missverhältnis stehen und es den gewünschten Ergebnis oft nicht dient“, sagt Daniel Hüttner.

„Mir ist wenig eingefallen, was ich lieber getan hätte.“

Linda Hüttner, Geschäftsführerin der GUNTER HÜTTNER + Co. GmbH

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Und doch: Als es daran ging, die Geschäftsführung zu übernehmen, gab es Restzweifel. Linda Hüttner: „Unser Vater war meinungs- und führungsstark, präsent. Ich habe mich gefragt, ob wir diese großen Fußstapfen auch wirklich ausfüllen können.“ Doch dann war da der Reiz, Dinge auch anders machen, Führung anders leben zu können als die vorherige Generation. „Das zu verstehen, hat bei mir eine Weile gebraucht“, so die Geschäftsführerin. Vor allem in die Unternehmensprozesse investierten die Geschwister viel Zeit: Viele Prozesse über die verschiedensten Projektphasen wurden geregelt, bei der Auswahl von Nachunternehmern mehr Wert auf Zuverlässigkeit als auf den günstigsten Preis gelegt.

„Wir wollen partnerschaftlich mit Kunden, Mitarbeitenden und Dienstleistern umgehen, auf einer sauberen Basis.“ Die haben sie auch für ihr gesellschaftliches Engagement, etwa die Unterstützung der Niners und die Initiierung des Lichtkunstfestivals „Light our Vision“ und eine große Zahl kleinerer Sponsorings, aber auch aktive Gremienarbeit, gefunden: „Für uns ist es wichtig, konkret das Lebensumfeld unserer Mitarbeiter und ihrer Familien zu verbessern und Chemnitz als Standort positiv mitzugestalten – das sind die Maßgaben für alle Aktivitäten“, erläutert Linda Hüttner. Solche Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Die Last der Verantwortung verteilt sich auf zwei Schulterpaare.

Das braucht manchmal mehr Zeit, mehr Abwägungsprozesse als früher. „Die Aufgabe aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, hilft, wenn man nach der besten Lösung sucht“, sagt Daniel Hüttner. Seine Schwester pflichtet ihm bei und merkt an: „Wir haben uns schon als Kinder oft gemeinsam organisiert, haben gelernt, uns aufeinander zu verlassen. Das kommt uns heute zugute.“ Im Unternehmen bewährt sich die Doppelspitze, die GUNTER HÜTTNER + Co. GmbH Bauunternehmung führt das + nicht nur im Namen, sondern schreibt es auch in den Bilanzen. Das stärkt auch den intergenerationellen Zusammenhalt: „Ich erlebe unseren Vater heute als sehr dankbar dafür, dass wir seine Arbeit weiterführen. Dass Unternehmen familienintern weitergeführt werden, ist ja heute keine Selbstverständlichkeit mehr“, so Linda Hüttner.

Eine Art Anti-Algorithmus

Auch Tina Kniep und Maximiliam Gräber gehen die Unternehmensnachfolge zu zweit an. Das Paar aus Bayern ist seit Spätsommer dieses Jahres Inhaber der Buchhandlung am Brühl in Chemnitz. Über Monate hinweg konnte man die Suche der vorherigen Buchhändler Ebert am Schaufenster des Ladens und in den Lokalmedien verfolgen: Hier wird demnächst geschlossen – werden Sie Nachfolger und nutzen Sie die Chancen des Weihnachtsgeschäfts und des Kulturhauptstadt-Jahres. Eine Reihe von Nachfolgekandidat* innen meldete sich – doch letztlich zerschlugen sich alle Versuche. So räumten die Eberts schrittweise ihren Laden aus. Bücher gingen an die Verlage zurück – und was die nicht mehr wollten, wurde an einen Zweitverwerter verkauft. Doch dann tauchten Kniep und Gräber auf – in einer Mischung aus „ein bisschen Zufall und ein bisschen Überlegung.“ Beide haben an der Hochschule für Philosophie in München studiert. Maximiliam Gräber arbeitet noch an seiner Promotion zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Metaphysik. Um die zu finanzieren, hat er zuletzt als pädagogische Kraft an einer Schule in Niederbayern gearbeitet. Tina Kniep hat in den vergangenen Jahren für Wissenschaftler* innen Recherchearbeiten übernommen, hier und da gejobbt, ist viel gereist. „Für uns beide war klar, dass wir von München weg in eine neue Stadt ziehen und nach neuen beruflichen Perspektiven schauen wollen. Deshalb haben wir uns Anfang des Jahres eine Liste an Städten zusammengestellt, die wir uns anschauen wollten“, berichtet sie.

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Chemnitz war erst nicht dabei, schnellte aber nach der Lektüre eines Reiseberichts spontan ganz nach oben. Ein Kurzurlaub wurde geplant, Ziel: „Wir wollten sehen, ob wir uns vorstellen können, hier zu leben und zu arbeiten.“ Eine Buchhandlung zu übernehmen, stand nicht auf dem Plan. Doch bei einer Erkundung des Brühl stießen sie auf die Schaufenster der Eberts. „Die Tonalität der Nachfolgersuche hat uns gut gefallen“, erinnert sich Tina Kniep. Also wurde angerufen. „Eigentlich gab es das Geschäft ja schon gar nicht mehr, die Buchbestände waren weitestgehend verschwunden, das erzgebirgische Kunsthandwerk verpackt. Das zeigte uns aber zugleich:

Wir eröffnen zwar neu, nehmen aber niemandem das Geschäft weg. Und wir beginnen trotz allem nicht mit einem leeren Blatt.“ Ein paar Nächte durfte das Paar drüber schlafen. „Wir haben schon immer mal darüber nachgedacht, wie es wäre, Buchhändler zu sein. Eine ernsthafte Option war es aber nie, eher eine romantische Vorstellung.“ Die siegte schließlich. Da war es Mitte August. Gräber und Kniep setzten sich zum Ziel, Anfang November wieder zu eröffnen. Was folgte, war ein Crashkurs in Sachen Buchhandel. Die Eberts stellten sie Verlagen und Vertrieblern vor, die Nachfolger meisterten die Gewerbeanmeldung und arbeiteten sich ins Kassensystem ein. Das erzgebirgische Kunsthandwerk, wichtiger Umsatzbringer des Geschäfts, sollte auch weiter zur Produktpalette gehören und wurde wieder ausgepackt. Erste Bücher bestellt. „Wir kommen gerade selbst kaum zum Lesen, müssen aber Up-to-date bleiben“, beschreibt Maximiliam Gräber eine aktuelle Herausforderung. Und nebenbei natürlich: Die Zelte in München abbrechen, nach Chemnitz umziehen. „Man kommt nach zehn Stunden aus dem Laden und muss sich dann noch zuhause einrichten“ – so geht das gerade. Zwischendurch hätten sie sich schon gefragt, ob es klug sei, so schnell anzufangen: „Bleibt die zwangsläufige Improvisation des Geschäftsstarts negativ bei den Kunden hängen?“

„Wir eröffnen neu, nehmen aber niemandem das Geschäft weg.“

Tina Kniep, Inhaberin der Buchhandlung am Brühl, Chemnitz

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Die Frage wird sich wohl erst in ein paar Monaten beantworten lassen. Die ersten Wochen zumindest liefen geschäftlich über den Erwartungen. „Wir wurden vom Kundenstamm der Eberts sehr freundlich aufgenommen, gefühlt hatten einige sich extra ein paar Buchkäufe für uns aufgespart“, berichtet Kniep. So zügig, wie sich die Regale leeren, werden sie wieder aufgefüllt: Die Buchhandlung am Brühl setzt künftig auf Romane und Fachliteratur, die einen Diskurs anregen können, die sich mit gesellschaftlichen Fragen beschäftigen: „Dabei dürfen auch mal Autoren mit ganz gegensätzlichen Ansichten direkt nebeneinander stehen“, hat sich Gräber vorgenommen. Hinzu kommen Kinder- und Jugendbücher, ein Regal voller Utopien und Dystopien, eine Auswahl englischsprachiger Literatur.

Man wolle den Chemnitzer* innen und den Gästen der Stadt einen Ort zum Stöbern anbieten, versprechen Kniep und Gräber. „Im Online-Handel schlägt mir der Algorithmus immer Bücher vor, die so ähnlich sind wie bereits gekaufte. Eine Buchhandlung kann das genaue Gegenteil, hier lassen sich Sachen entdecken, die man nicht auf dem Schirm hatte“, so Gräber. Es sei eine Art Anti-Algorithmus. vtz

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