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Alte Branche, neu belebt

Von Brigitte Pfüller

In Ostdeutschland sind nach Angaben des Branchenverbandes VTI gegenwärtig rund 16.000 Menschen in der Textil- und Bekleidungsindustrie tätig, davon 12.000 in Sachsen und 2.500 in Thüringen. Hinzu kommt eine überdurchschnittlich stark ausgeprägte textile Forschungslandschaft. Die ostdeutsche Textilindustrie macht wie viele andere Branchen komplizierte Zeiten durch. Doch Firmen in der Region Chemnitz nutzen technische Innovationen, um die Zukunft zu meistern. Insgesamt wird derzeit bereits mehr als die Hälfte des Umsatzes mit technischen Textilien erzeugt.

Helfer für Frau Holle

Der Winter, der das ganze Jahr über andauert, hat seinen Sitz in Chemnitz und er braucht nicht einmal frostige Minustemperaturen: Die Mr. Snow GmbH produziert in der Schönherrfabrik, einem traditionsreichen Textilmaschinenstandort fast in der Mitte der Stadt, textile Schneepisten. Dazu wird ein hoch gleitfähiges Garn zu Matten mit patentierter Struktur verarbeitet. „Die Auftragsbücher sind voll“, freut sich Jens Reindl, Geschäftsführer und einer der Mitgründer und -entwickler der Gleitteppiche, die als Unikate international immer beliebter werden. Denn auf das Wetter ist durch die Klimaerwärmung weniger Verlass – dagegen auf die technischen Textilien aus Chemnitz schon. Die Matten können das ganze Jahr für Abfahrt, Langlauf, Snowboard fahren, für Rodeln, für das Betreiben der Lifte oder auch für Funparks genutzt werden. „Wir kamen auf den Namen Mr. Snow, weil Frau Holle, die es schneien lässt, zunehmend Unterstützung braucht“, erklärt der Unternehmer. Außerdem ist die Erfindung im Gegensatz zu herkömmlichen Schneekanonen umweltschonend.

Die Gründer von Mr. Snow, Jens Reindl, Arndt Schumann und Felix Neubert, sind Absolventen der TU Chemnitz. Sie begannen 2009 mit der Arbeit an den Schnee-Textilien. 2015 startete die Produktion. „Auf das Erzeugnis gibt es mehrere Patente“, so Reindl, der Neugierige deshalb nicht gern in die Fertigung lässt. Dafür freut er sich über neue Aufträge. In Norwegen werden die gleitfähigen Teppiche sogar zum professionellen Training für Wintersportler genutzt. Weiter entfernte Lieferungen gehen nach Nordamerika. Der Hauptmarkt befindet sich aber in Europa.

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Müllsammlung global per Trash-Ride

Noch internationaler unterwegs ist die Biehler Sportswear GmbH & Co. KG aus Limbach-Oberfrohna. Das Unternehmen fertigt und entwirft funktionelle Sportwäsche und Radbekleidung, die nicht nur schick aussieht, sondern die bei jeder Witterung, ob Sommer oder Winter, ob im Flachland oder im Gebirge, getragen werden kann. Sie wird nachhaltig hergestellt.

Bis zur Corona-Pandemie wurden damit vor allem Leistungssportler, Olympiateilnehmer oder Weltmeister sowie Radsportteams und Vereine ausgestattet. „Doch dann gab es auf einmal keine Wettkämpfe, die Vereine stellten den Betrieb ein und bei uns brachen die Aufträge ein“, erinnert sich Inhaberin Steffi Barth, die den Betrieb gemeinsam mit ihrem Sohn Sascha Winkler führt.

Während sie für Technologie und Schnittkonstruktion sowie für die Produktion verantwortlich ist, kümmert sich Sascha Winkler um Marketing, Design und Vertrieb. Er hatte in dieser komplizierten Lage eine zündende Idee: Er entwickelte eine eigene patentierte Marke und initiierte damit per Web einen globalen Cycling Club. Dieses Biehler Syndicat Syn verbindet heute als eigenständige innovative Kollektion bereits viele Menschen mit Passion für Radsport auf allen fünf Kontinenten. „Zum Beispiel sind Syndicat-Radsportler an einem Tag im Jahr weltweit unterwegs, um per Bike Müll für Umwelt und Klimaschutz einzusammeln“, berichtet Steffi Barth. In diesem Jahr trafen sich die Biker zum globalen Trash-Riding im September unter dem Motto „Join us for our mission – to protect the placis“. Die weltweiten Syndicat-Clubmitglieder, die alle Biehler-Bikerkleidung als ihr Symbol tragen, unternehmen auch andere Veranstaltungen wie Ausflüge oder Radtouren gemeinsam, zu denen sie sich per Instagram verabreden. „Es werden immer mehr, die den Club mit sportlichem Engagement und Produkten Made in Germany mit Leben erfüllen“, so Steffi Barth. „Wir wollten Emotionen schaffen. Das ist offenbar gelungen.“

Doch Mode für Radsportbegeisterte ist nicht das einzige Standbein. Sondern das Unternehmen ist im Bereich technische Textilien in Forschung und Entwicklung für Gesundheit und Medizin unterwegs. So wurden mit der TU Dresden und der Orthopädie-Technikfirma Saxcare aus Chemnitz textile Softorthesen entwickelt. Diese sind für Kinder und Jugendliche bestimmt, die aufgrund von Nervenerkrankungen oder Muskelschwäche Stützen tragen müssen, um am normalen Leben teilnehmen zu können. Die textilen Produkte sind wesentlich angenehmer als fester Kunststoff. Sie sind Einzelanfertigungen und werden individuell angepasst. Die Kinder dürfen Farben und Muster auswählen.

Eine weitere Neuentwicklung ist stützende Bekleidung mit dem Namen „Exo-Suit“ für Krankenhäuser oder für Pflegende. Diese liegt wie ein flexibles Skelett am Körper an, hindert aber nicht bei der Arbeit, sondern schützt zum Beispiel Wirbelsäule oder Muskeln vor Überlastung.

Eine absolute Weltneuheit ist der Babystrampler oder -body für Frühgeborene, der ebenfalls mit dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden entwickelt und bei Biehler produziert wird. „Die ganz kleinen Frühchen liegen nackt nur mit einer Windel bekleidet im Inkubator“, sagt Steffi Biehler. „Die Versorgungsschläuche lassen es nicht anders zu.“ Der neue Anzug aus Limbach-Oberfrohna gestattet es aber, die Winzlinge zu bekleiden, ohne Schläuche oder den Inkubator zu behindern. In einigen Krankenhäusern – wie in der Uniklinik Dresden oder am DRK-Krankenhaus Rabenstein – wird der Frühchen-Body bereits getestet.

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„Es werden immer mehr, die den Club mit sportlichem Engagement und Produkten Made in Germany mit Leben erfüllen.“

Steffi Barth, Geschäftsführerin Biehler Sportswear GmbH & Co. KG

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Mützen und Hüte für Kinder und Jugendliche

Babymützchen gehören zum Sortiment der Firma Strickmoden Bruno Barthel GmbH & Co. KG, die im Chemnitzer Gewerbegebiet Neefepark produziert. Die rund 90 Mitarbeitenden entwerfen, stricken, nähen, verpacken und versenden unter der Marke Maximo hochwertige Accessoires für Babys, Kinder und Jugendliche.

In einem der Säle stehen Flachstrickautomaten, die textile Flächen herstellen. Aus Öko-Baum- oder aus Merinowolle und sogar aus Kaschmir. Die Stoffe werden vor der Weiterverarbeitung gedämpft, damit sie weicher werden“, erläutert Thomas Merk. „Wir setzen auf schadstofffreie Qualität bei den Materialien und bei der Verarbeitung. Die Mützen sollen richtig passen.“ So gibt es bei Maximo nicht ein Modell für alle Kinderköpfe, sondern genau angepasste Größen. Insgesamt gehören pro Saison ca. 400 verschiedene Artikel in 26 Farben zum Sortiment. Die Wolle, Garne und Stoffe werden überwiegend aus Deutschland und Europa bezogen – nur Strohhüte kommen aus Asien. Für Erwachsene gibt es die Marke „Capo“. Deren Produktion wurde von einem westdeutschen Unternehmen nach Chemnitz übernommen.

Die neuen Kollektionen werden hier im Haus entworfen. Im Moment wird der Winter 2023 vorbereitet. Überwiegend gehen die Erzeugnisse nach ganz Deutschland und nach Europa.

Neu ist ein Outlet-Shop im Werk. Denn Maximo blickt auf eine über 100-jährige Geschichte in der Stadt zurück: Thomas Merk, der seit 2012 das Unternehmen führt, ist der Urenkel des Firmengründers Bruno Barthel, der mit seiner Handschuhfabrik 1898 in Chemnitz-Rabenstein startete. Bis zum zweiten Weltkrieg wuchs die Firma zu einem der größten Handschuhproduzenten der Region. Zu DDR-Zeiten wurde sie als VEB „Polar“ verstaatlicht und nach der Wende wieder reprivatisiert. „Heute produzieren wir als einer der letzten Textilbetriebe für Kindermode-Ac­ces­soires in Deutschland,“ erklärt Merk. „Seit 2001 sind wir im neuen Firmengebäude ganz in der Nähe des ursprünglichen Betriebs von Bruno Barthel.“

Maximo hat ebenfalls ein Standbein im Bereich technische Textilien, das hier eng mit der Handschuh-Tradition verbunden ist. „Schon zu DDR-Zeiten wurden Baumwoll-Handschuhe für die Industrie produziert“, sagt Merk. Inzwischen werden die dünnen weißen Handschuhe zum größten Teil auch für die Medizin in unterschiedlichsten Größen hergestellt. „Das Besondere ist, dass sie ohne störende Nähte sind“, zeigt der Experte. Somit werden sie von Ärzten gern unter den Synthetik-Handschuhen getragen, da die Textilien den Schweiß aufnehmen und nicht störend sind.

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Farben sind Trumpf

Herrensocken kommen dieses Jahr nicht langweilig in grau, braun oder schwarz daher. „Farben sind Trumpf. Von orange über lila, violett bis zu grün. Gestreift, kariert, geringelt. Sogar weiß geht wieder“, freut sich Thomas Lindner, Inhaber und Geschäftsführer der Strumpfwerke Lindner GmbH aus Hohenstein-Ernstthal. Und auf den Socken findet sich Made in Germany. „Das ist und bleibt für uns das Qualitätssiegel. Seit 1890 stellen wir hochwertige Socken und Herrenstrümpfe her.“ Damenfüße werden in geringerer Stückzahl bedient. Damit ist Lindner eines der ältesten deutschen Socken-Familienunternehmen, das noch produziert.

Die Fertigung gliedert sich in drei Bereiche: Mode, Sport und Medizin. „Sport wollten wir eigentlich nicht, weil das Saisonware ist“, erinnert sich der Firmenchef. „Aber wir haben Kompressionsstrümpfe hergestellt und es gab Anfragen nach derartigen Sport-Strümpfen. So sind die drei Bereiche entstanden.“

Inzwischen sind Eigenentwicklungen als Medizin-Textilien hinzugekommen: Hightech-Socken für Diabetiker, um Reibungen und Druckstellen zu vermeiden. Genutzt wird ein Doppelstrumpf – oben Baumwolle, darunter ein Innenstrumpf mit speziellem Silbergarn. Hinzu kommen Anti-Zeckenstrümpfe, Knöchel- und Kniebandagen, Gelenkwärmer oder Stumpfstrümpfe.

Lindner sieht die Kombination verschiedener Standbeine positiv. Denn Mode gehe derzeit nicht so gut. Kunden und Geschäfte warteten ab. Das treffe die gesamte Branche, weiß er. Denn Lindner ist Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Nord-Ostdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie e.V. (vti). „Besonders Bekleidung hat während der Coronakrise gelitten und als die Firmen dachten, sie könnten aufholen, kamen die nächsten Krisen.“ Darum blickt der Vorstandsvorsitzende mit Sorge auf die kommenden Monate. „Die Zeit ist geprägt durch Unsicherheit. Planung ist kaum möglich.“ So ändern sich fast täglich Material- und Logistikpreise. Auch die Energiekosten steigen und 2022 mussten die Textiler drei Lohnerhöhungen verkraften, die den Standort im internationalen Wettbewerb belasten. „Wir brauchen die Unterstützung der Politik für den Mittelstand, sonst sind 30 Jahre innovative Aufbauarbeit in unserer Branche verloren“, warnt Lindner.

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„Wir brauchen die Unterstützung der Politik für den Mittelstand, sonst sind 30 Jahre innovative Aufbauarbeit in unserer Branche verloren.“

Thomas Lindner, Vorstandsvorsitzender des Verbandes

der Nord-Ostdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie e.V.

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