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In jedem Jahr ein bisschen mehr

Ein paar Rad-Enthusiasten lassen die Internationale Friedensfahrt wieder aufleben - wenn auch mit neuem Profil

Im Osten Deutschlands entging wohl niemand den Fanfarenklängen des Komponisten Paul Noack-Ihlenfeld. Nicht nur, weil sie ab Anfang der 1950er Jahre alljährlich im Frühjahr über die Straßen und Plätze der Deutschen Demokratischen Republik und aus den Rundfunkgeräten erschallten, wann immer es hieß: Friedensfahrt. Zusätzlich wurde die Hymne des Radrennens, bedeutendstes Amateurrennen in Osteuropa, auch zur Motivation bei „Kleinen Friedensfahrten“ von Nachwuchs-Sportler*innen und bei den Kinder- und Jugendspartakiaden eingesetzt.

Die Friedensfahrt, 1948 erstmals zwischen Prag und Warschau, ab 1952 dann als Zeichen der Versöhnung zwischen den Völkern auch durch Berlin, Hauptstadt der DDR geführt, brachte Helden wie Täve Schur, Ryszard Szurkowski, Uwe Ampler oder Olaf Ludwig hervor. Nicht immer stand sie im Zeichen des Friedens – 1968 wurde wegen der Unterdrückung des Prager Frühlings das Staatsgebiet der CSSR ausgelassen, 1986 weigerten sich vor allem Westteams, an der Tour teilzunehmen, weil sie unweit des gerade explodierten Kernkraftwerks in Tschernobyl starten sollte. Als der eiserne Vorhang fiel, verlor sie an sportlicher Bedeutung, seit 2007 findet sie gar nicht mehr statt – bis ein paar Chemnitzer*innen den European Peace Ride ins Leben riefen.

ZUM VIERTEN MAL AUF TOUR

Zunächst klang es wie eine spinnerte Idee aus der Bewerbungsphase um den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2025. So wie: „Headliner eines Elektrofestivals in Chemnitz wird der isländische Superstar Björk.“ Oder: „Der weltbekannte Trompeter Tom Gäbler spielt im Erzgebirgsstadion in Aue ein Konzert gemeinsam mit einheimischen Bergmannskapellen.“ So hieß es auch: „Wir lassen die Internationale Friedensfahrt wieder aufleben.“ Doch schon in der Bewerbungsphase zeigte ein Projektteam, welches Potenzial hinter dieser Idee stand. Statt 2020 das Bewerbungsbuch einfach per Kurierdienst an die deutsche und internationale Kulturhauptstadt-Jury zu versenden, machten sich 39 Chemnitzer * innen per Rad auf den Weg, um binnen 48 Stunden ein großes C über die Deutschlandkarte zu zeichnen und das Bidbook persönlich auszuhändigen.

Der mediale Erfolg war beachtlich – und Chemnitz erhielt den Zuschlag für den Titel. Seitdem gab es jedes Jahr eine internationale Tour. 2021 ging es über zwei Etappen von Chemnitz nach Prag und zurück. 2022 wurden mit dem polnischen Wroclaw, dem tschechischen Mladá Boleslav und wieder Chemnitz die drei historischen Austragungsländer der Friedensfahrt wieder in die Strecke aufgenommen. 2023 führte die Tour von Görlitz/Zgorcelec über Mladá Boleslav und Plzeň nach Chemnitz. In diesem Jahr schließlich stand die Strecke von Bad Ischl in Österreich über Lipno nad Vltavou und Plzeň nach Chemnitz auf dem Programm (bei Redaktionsschluss dieses Magazins noch nicht begonnen). So vereint man eine der Kulturhauptstädte dieses Jahres, Bad Ischl, mit der des kommenden Jahres – eine Art Staffelstab-Übergabe.

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WACHSENDE HERAUSFORDERUNGEN

Etappensieger, die besten Sprinter oder Kletterer wie früher werden heute nicht mehr gesucht. Stattdessen geht es darum, die Strecke weniger kompetitiv und stärker gemeinschaftlich zu absolvieren – und damit ein Zeichen für europäische Verständigung zu setzen. Ein*e ambitionierte*r Freizeitsportler*in müsste man schon sein, um mitfahren zu können, erläutert Kai Winkler, Impulsgeber und bis heute einer der wichtigsten Köpfe im Organisationsteam des European Peace Ride.

Das Verhältnis zwischen teilnehmenden Männern und Frauen soll irgendwann ausgeglichen sein – dafür gibt’s für beide Geschlechter extra Trainingspläne und -gruppen. 200 Fahrer*innen stellen sich in diesem Jahr der Herausforderung. Promis wie die einstigen Profis Jens Voigt oder Hanka Kupfernagel sind in jedem Jahr darunter und erhöhen nicht nur den Reiz für die Freizeitsportler*innen, sondern auch die mediale Aufmerksamkeit. Kein Wunder, dass sich inzwischen auch die Politik gern auf dem Ereignis zeigt, in der Vergangenheit neben Stadtoberhäuptern auch Minister*innen wie Katja Meier oder der Ostbeauftragte Carsten Schneider. In den vergangenen Jahren wuchs zwar die Zahl der Etappen auf drei, die Streckenlänge von 412 auf 570 Kilometer, die der zu überwindenden Höhenmeter von 5.000 auf 6.000. Das Feld der Teilnehmer*innen hat aber eine Höchstgrenze erreicht. Das hat sportliche ebenso wie organisatorische und finanzielle Gründe. „Je größer das Feld wird, umso schwerer ist es zusammenzuhalten“, erläutert EPR-Sprecher Arndt Hecker.

„Je größer das Feld wird, umso schwerer ist es zusammenzuhalten“

Arndt Hecker, Pressesprecher des European Peace Ride

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„Außerdem ist Fahren im Feld deutlich anstrengender als etwa Trainingsrunden allein oder in der kleinen Gruppe: Man kann nicht sein eigenes Tempo fahren, muss ständig aufpassen, was im Feld passiert – das fordert jede*n Einzelne*n körperlich und mental.“ In Sachen Organisation sind bei einer solchen Feldgröße – zuzüglich zahlreichen Technik- und Begleitfahrzeugen – ebenfalls deutlich mehr Anstrengungen zu unternehmen als noch 2020. „Da sind wir relativ unbeschwert und ohne große Ankündigungen mit unseren 39 Menschen losgefahren“, so Hecker. „Heute gehen dem EPR viele Absprachen über mögliche Streckenführungen mit den Polizei-Verantwortlichen der beteiligten Länder voraus, weil ein so großes Feld natürlich den Verkehr beeinflusst.“ Teilweise werde jede Hofeinfahrt kurz abgesperrt, die die Teilnehmer*innen passieren.

All das kostet. Inzwischen liegt das Budget eines EPR-Jahres im mittleren sechsstelligen Bereich. Das wird auch durch Sponsoren getragen: 2024 gibt es beispielsweise mit der IT-Consulting- und Software- Entwicklungsfirma Staff Eye aus Chemnitz erstmals ein Trikotsponsor gefunden. Und die Erzgebirgsbahn bringt die Teilnehmenden per Zug von Chemnitz an den Startort Bad Ischl. Kosten entstehen auch, weil sich der EPR nicht als reines Sport-Event versteht. Start und Ankunft der einzelnen Etappen werden inzwischen wie beim historischen Vorbild mit kleinen Volksfesten zelebriert. Zum Finale in Chemnitz etwa wird der EPR 2024 am Sonntag, 15. September am Eisstadion erwartet, wo das Sportevent „SattelFest“ mit den Popstars von Stereoact als Anheizer seine Premiere erlebt. Doch auch während der einzelnen Etappen gibt es fest geplante Pausen mit Musik und Kultur und Autogrammstunden fürs heimische Publikum. „Das sind unsere Möglichkeiten, den Fahrer*innen Entspannung zu geben und zugleich unsere Idee in die Breite zu tragen“, erläutert der Pressesprecher.

Polizei

ZURÜCK IN CHEMNITZ

Und zugleich zeigt man sich 2024 nicht nur mit dem „SattelFest“ stärker auch in der Heimatregion. So laden die Organisatoren am 24. September auch nochmal alle Radsportbegeisterten in die Chemnitzer Innenstadt ein – zum Event „Licht. Macht. Platz.“. Der Termin ist nicht zufällig gewählt, er liegt einen Tag vor Eröffnung des Lichtkunstfestivals „Light our Vision“ und soll eine Art „Pre-Opening“ werden. Man wolle an diesem Tag städtische Akteur * innen der Kulturszene zusammenbringen, die sich mit eigenen Projekten in Chemnitz für die Vernetzung von Kultur, Sport und Wirtschaft engagieren. Maßgeblich unterstützt wird die Veranstaltung vom Institut für Mittelstandskooperation in Mittweida MIKOMI, den Chemnitzer Wirtschaftsjunioren und der Chemnitzer Tourismus und Marketing GmbH (CTM). Auch die Betreiber * innen des Fahrradkinos werden vor Ort sein und mit selbst erzeugter Energie einen Zeitzeugenfilm über Chemnitz vor der sogenannten „Parteifalte“ präsentieren.

Auch eine Stadtwette ist geplant: Wie viel Strom kann man erzeugen, wenn man gemeinsam in die Pedale tritt? All dies soll vier Monate vor dem offiziellen Beginn schon einmal auf das Kulturhauptstadt-Jahr 2025 einstimmen. Auch da soll sich der European Peace Ride wieder auf eine große Tour begeben. Als Startpunkt schwebt Vielen das slowenische Nova Gorica vor, im kommenden Jahr parallel zu Chemnitz ebenfalls Europäische Kulturhauptstadt und damit quasi die logische Fortsetzung der EPR-Historie.

Doch haben sich die Macher * innen bei aller Euphorie über das wachsende Event auch einen Hauch Realismus bewahrt: Die Streckenlänge würde sich auf an die 900 Kilometer fast verdoppeln. Und zwischendrin wären die Alpen zu überqueren. „Das mit einem 200-Fahrer * innen-Feld zu schaffen, klingt nach einer sehr, sehr großen Herausforderung“, sagt Hecker. Natürlich wolle man Nova Gorica in die Planungen für 2025 einbeziehen, sagt Arnd Hecker – vielleicht aber eher im Sinne einer „Sternfahrt“. Heißt: Nicht alle Teilnehmenden müssten die Alpenpässe hinaufkraxeln, nicht alle Fahrer * innen hätten den gleichen Ausgangspunkt. Geübt wurde ein solches Szenario schon in den Vorjahren: Da durfte man sich etwa für die letzte Teiletappe dem EPR-Feld anschließen oder stieß wie 2024 von Wroclaw aus zum Hauptfeld. Es ist ein Szenario, wie die Idee der neuen Europäischen Friedensfahrt auch in die Jahre nach 2025 getragen werden kann. vtz

WEITERE SPORT-EVENTS IM KULTURHAUPTSTADT-JAHR

ECOC-Curling-Cup

Die „erste Vierschanzen-Tournee für Curler * innen“ kombiniert die Curling- Turniere im tschechischen Trutnov, im polnischen Swidnica und in Chemnitz zu einer Tour mit Gesamtwertung. Zum großen Finale in Chemnitz vom 18. bis 20. April 2025 treffen sich nicht nur die beteiligten Mannschaften, zusätzlich findet auch eine Deutsche Meisterschaft der Gehörlosen-Sportler * innen im Double Mixed Curling statt. Und die olympische Sportart selbst ausprobieren, kann man im Rahmen von Schnuppertrainingsstunden.

www.ecoc-curling-cup.eu

Europäischer Kulturhauptstadt-Marathon

Der allererste Europäische Kulturhauptstadt-Marathon ist zugleich der 50. Deutsche Sparkassen-Marathon und wird von der Sparkasse Chemnitz ausgerichtet. Am 18. Mai 2025 werden Sport und Kultur verbunden: Die Laufstrecken von Viertel- bis Voll-Marathon führen an den schönsten Plätzen der Stadt vorbei – Marx-Monument, Theaterplatz und Schlossteich, die Bunte Esse, das Eisenbahnviadukt, die Villa Esche und der Stadtpark zum Beispiel. Am Streckenverlauf sind viele Musikbeiträge geplant. Start und Ziel sind auf dem Neumarkt. Der Anmeldeprozess ist gestartet.

www.sparkassenmarathon-chemnitz.de

SPORTS UNITED & SPORTY

Die Veranstaltungen, organisiert durch den Stadtsportbund und den Stadionbetreiber C³ Chemnitzer Veranstaltungszentren, kombinieren das gemeinsame Sporttreiben auf verschiedenen Touren per Rad, zu Fuß oder auf Inlinern mit der Präsentation von Sportvereinen am Stadion an der Gellertstraße und dem einen oder anderen programmlichen Highlight. 2025 soll dies beispielsweise ein E-Sport-Community-Event sein. Das Doppel-Event findet dann am 13. September statt, auf den vorab eine ganze Woche lang mit Pre-Events eingestimmt wird.

www.sports-united-chemnitz.de

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