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Da kommt was. Und was bleibt? CHEMNITZER FESTIVALS UND DIE KULTURHAUPTSTADT

Mit der Kulturhauptstadt erleben Chemnitzer Festivals neue Hochzeiten. Die Festivalmacher * innen wissen, was 2025 passieren wird. Doch wie es anschließend weitergeht, ist häufig noch ungewiss.

Begehungen: Von der Regionalliga in die Europa-League

Fragt man Lars Neuenfeld, Mitarbeiter im Begehungen e.V., so hat sich beim Kunst- und Kulturfestival Begehungen erstmal „gar nix verändert – oder doch alles“. Das Festival findet wie seit 2003 auch im kommenden Jahr statt, man bespiele eine leerstehende Fläche und versuche,, von Jahr zu Jahr zu lernen und weniger Fehler zu machen. Das ist die Konstante. Und doch hat sich durch die Kulturhauptstadt-Bewegung viel verändert. Das Offensichtlichste ist die verlängerte Öffnungszeit: Dauerten die Begehungen früher mal ein langes Wochenende oder zwei kurze, steht 2025 der Festivalzeitraum vom 18. Juli bis 17. August im Kalender – vier Wochen! „Der Aufwand durch die wachsende Größe des Festivals rechtfertigt schon seit längerem nicht mehr, dass man dann nur so kurz öffnet.“

Trotzdem funktionierte die Verlängerung nur dank Kulturhauptstadt. „Bis 2020 waren wir ein chronisch unterfinanziertes Festival, das nur aufgrund mickriger Honorare für Künstler* innen und Dienstleistungsunternehmen und mit sehr viel ehrenamtlichem Engagement möglich war.“ Rund 3.000 Ehrenamtsstunden seien da schon mal in eine Festivalauflage geflossen, so Neuenfeld. Da das Vereinsleben auf ein Event im Jahr zugeschnitten sei, hieß das: „Erst gibt es viel zu besprechen, dann gibt es viel zu arbeiten.“ Hier die Lasten sinnvoll zu verteilen, sei nicht immer einfach gewesen. Regelmäßig gab es deshalb einen Umbruch bei den Mitgliedern.

Eingang Blankenburgstr_(c)Johannes Richter

Mit der Kulturhauptstadt und der Aufnahme ins Bidbook verbesserte sich die finanzielle Situation – seit 2022 werden die Begehungen durch die Kulturhauptstadt teilfinanziert, auch aus dem Kulturbudget der Stadt fließt regelmäßig Geld. Damit konnte man sich zwei Teilzeitstellen leisten – und erhielt so Freiraum, weitere Fördermittel zu akquirieren. „Diese Geldsuche gehört zu den Dingen, die im Ehrenamt niemand gern macht – das lässt sich durch die festen Stellen abfedern“, nennt Neuenfeld einen der größten Pluspunkte der Kulturhauptstadt. Hinzu kamen weitere: Von Veranstaltungen im Kulturhauptstadt-Jahr wurde eine klare europäische Ausrichtung verlangt – also knüpfte der Begehungen e.V. Kontakte zu anderen Festivals, stellte sich selbst im Frühjahr 2024 bei der Biennale in Venedig vor. Auch die Integration der Kulturregion war eine Auflage, was zu den beiden „Auswärtsspielen“ im Thalheimer Schwimmbad 2022 und in der früheren Daetz-Sammlung in Lichtenstein 2023 führte.

Darüber hinaus finanzierte die Kulturhauptstadt auch Befähigungsprogramme mit – etwa eine Supervision für die Vereinsmitglieder oder einen Kurations-Workshop. Bei letzterem lernten die Vereinsmitglieder Workshopleiterin Claudia Tittel kennen – und verpflichteten sie im Anschluss als Kuratorin für das Festival 2024. „Der Versuch in diesem Jahr war klar auch mit Hinblick aufs Kulturhauptstadtjahr angesetzt.“ Da steht das vierwöchige Festival im Heizkraftwerk rund um die bunte Esse an. „Fläche und Zeitraum sind so groß, dass wir wussten: Das ist mit unseren gelernten Beteiligungsverfahren wie etwa dem öffentlichen Wettbewerb kaum noch zu bewältigen.“ Deshalb wird es 2025 – wie schon in diesem Jahr – eine Riege von Künstler*innen geben, die man über die Kuratorin direkt anspricht. „Das entbindet uns ein wenig von der Zufälligkeit des Bewerbungsverfahrens und verhilft uns zu einer Ausstellung auf hohem Niveau.“

Eitel Sonnenschein ist trotzdem nicht alles bei den Begehungen: Noch ist der städtische Haushalt für 2025 nicht beschlossen. Wie viel Geld im Kulturetat noch stehen wird, ist unklar. Gleiches gilt für 2026. „Irgendwie wäre es schön, wenn wir heute schon wüssten, was 2026 sein wird“, sagt Neuenfeld. „Für uns steht aber fest: Die Begehungen werden vielleicht wieder eine Nummer kleiner, aber es wird sie weiterhin geben.“ Dies sei man auch der gewachsenen Bedeutung, der größeren Aufmerksamkeit in den vergangenen Jahren schuldig. „Bis 2021 waren wir ein ambitionierter Regionalligist – 2025 klopfen wir an die Tür zur Europa-League“, macht er an einem Fußballvergleich deutlich, wie sich die Begehungen dank Kulturhauptstadt gewandelt haben.

Hutfestival: Mehr Bühnen, mehr Gäste

Ganz so groß sind die Wachstumssprünge beim Hutfestival, dem Festival für Straßenkunst in der Innenstadt, nicht. Stattdessen spricht Yvonne Buchheim, Pressesprecherin der Veranstalterin C³ - Chemnitzer Veranstaltungszentren GmbH, von Justierungen, die seit der ersten Auflage 2018 immer wieder stattgefunden hätten. So sei etwa der Markt der schönen Dinge mit Angeboten von Kreativen und Kunsthandwerker* innen schrittweise gewachsen. Von der Konzentration auf dem Düsseldorfer Platz sei dieser inzwischen in alle Straßen und Plätze der Innenstadt hineingewandert. Imbissangebote finden sich hingegen mittlerweile überwiegend auf dem Neumarkt. Auf die anfangs noch durchgeführte Parade der Straßenkünstler* innen verzichtet man mittlerweile –angesichts der Publikumsmassen sei diese nicht mehr sicher durchführbar gewesen. Stattdessen habe man über eine Highlight- Show am Samstagabend nachgedacht – doch dies hieße wohl, einzelne Acts herauszuhe- ben, was man eigentlich nicht wolle. Seit drei Jahren wird auch der Rosenhof mitbespielt, 2024 wurde eine zusätzliche Bühne am Roten Turm aufgebaut. Auch 2025 soll es noch einmal eine Flächenerweiterung geben – dann hinein in den Stadthallenpark, wo vor allem lokale Partner* innen auftreten sollen.

Doch vor allem liege der Fokus für 2025 darauf, möglichst viele Künstler * innen aus ganz Europa nach Chemnitz einzuladen. Yvonne Buchheim sieht die Vorzeichen dafür gut: „Nach unserem Gefühl hat sich unser Hutfestival ein sehr gutes Standing erarbeitet. Die Künstler*innen kommen gern hierher und empfehlen uns auch weiter.“ Dies spreche dafür, dass man die Bedingungen in Chemnitz als fair empfinde, denkt Buchheim. Insbesondere das „Hutgeld“ – freiwillige Spenden durch die Besucher*innen, die ja immerhin keinen Eintritt bezahlen – habe sich bewährt.

Trotz der immer internationaleren Ausrichtung wünscht sich Buchheim gern noch ein bisschen mehr Aufmerksamkeit: „Pressetechnisch sind wir weiterhin überwiegend ein regionales, noch kein bundes- weites oder gar europäisches Festival“, hat sie beobachtet. Immerhin aber sorgten die Chemnitzer*innen selbst dafür, dass mehr Gäste von außerhalb in die Stadt kommen: „An den Infoständen beobachten wir zunehmend auch Menschen aus Dresden, Leipzig, Magdeburg oder Bayern – oft Menschen, die von Einwohner * innen der Stadt gezielt zum Hutfestival nach Chemnitz eingeladen wurden.“

Dass es diesen Besuchsgrund auch 2026 noch geben wird, da ist sich Buchheim recht sicher. Zwar fehle derzeit noch die Finanzierung, vielleicht werde es die eine oder andere Bühne weniger geben. Doch insgesamt habe sich die Entwicklung des Festivals ausgezahlt – selten sei das Chemnitzer Zentrum in Gänze so belebt wie zum Hutfestival.

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TANZ | MODERNE | TANZ: Das Tanzzentrum als Erbe der Kulturhauptstadt

Auch Sabrina Sadowska guckt ein wenig ratlos, wenn man sie nach TANZ | MODERNE | TANZ im Jahr 2026 befragt. Eigentlich könne sie sich dazu im Moment schwer äußern, sagt die Direktorin des Chemnitzer Balletts der Theater Chemnitz und Erfinderin dieses Festivals für zeitgenössischen Tanz. Das feiert 2025 seinen zehnten Geburtstag. „Ich glaube, gerade die Chemnitzer Festivallandschaft hat viel dazu beigetragen, dass wir Kulturhauptstadt geworden sind“, sagt Sadowska. Entsprechend froh sei sie, dass TANZ | MODERNE | TANZ durch die Aufnahme in die Bidbooks der Kulturhauptstadt-Bewerbung und Co- Finanzierungen aus dem Kulturhauptstadt- Budget regelmäßig habe stattfinden können. Dies habe unter anderem dazu beigetragen, die Soul Expression im Kraftwerk wieder auf- leben zu lassen oder internationale Projekte wie das im Vorjahr stattgefundene „Rail to dance“ durchzuführen. „Insgesamt ist es uns gelungen, Tanz im Stadtraum sehr gut sichtbar zu machen“, ist sie überzeugt.

„Für uns ist wichtig, Tanz zu Menschen zu bringen, wo Ballett eigentlich fernab der Lebensrealität liegt.“

Sabrina Sadowska, Ballettdirektorin der Theater Chmemnitz

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Vor allem die öffentlichen Performances haben in den vergangenen Jahren viel zur Popularität des Festivals beigetragen – ob vertikaler Tanz an der Galerie Roter Turm, Auftritte im Stadthallenbrunnen oder auf dem Brühl oder die jährlich wiederkehrenden Fahrradtouren durch den Stadtraum mit kleinen Ballett-Aufführungen an wechselnden Orten. Da wird im kommenden Jahr mit „Odyssee in C“ noch einmal draufgesetzt: Beginnend um 8 Uhr morgens an der Markersdorfer Oase und an der Fleischerei Thiele auf dem Sonnenberg, bewegt sich am 26. Juni eine Tanz-Performance unterschiedlichster nationaler und internationaler Companies, die an James Joyce‘ Jahrhundertroman „Ulysses“ angelehnt ist, durch die Stadt – mit Stationen unter anderem am Wirkbau, am Uferstrand, am smac, am Seeberplatz, am Schlossteich und am Brühl, endend abends auf dem Theaterplatz. „Für uns ist wichtig, Tanz zu Menschen zu bringen, wo Ballett eigentlich fernab der Lebensrealität liegt.“

Vor diesem Hintergrund sind Sadowska auch im Blick auf die Legacy, das Vermächtnis der Kulturhauptstadt, manche Dinge noch ,wichtiger als das mehrtägige Festival. „Für mich ist im Moment wesentlich, unser Tanzzentrum anzuschieben.“ Das ist ebenfalls in beiden Bidbooks verankert und soll ein breit gefächertes Tanz- und Bewegungsangebot für alle Alters- und Zielgruppen bereithalten. Mit dem „Silbertanzclub“ für Senior * innen ist ein erstes Angebot bereits etabliert, das sich positiv gegen Einsamkeit und auf eine verbesserte Bewegungsfähigkeit im Alter auswirkt.

„Wir wollen mehr Bewegung in die Stadt bringen, mehr Energie in Freude umsetzen und damit Mut für die Alltagsgestaltung generieren“, formuliert Sadowska ihren Anspruch ans Tanzzentrum, der ob der Haushaltsdiskussionen in der Stadt immer wieder an alle Stadtratsfraktionen herangetragen werden müsse. Die nächsten Punkte auf der To-Do-Liste der Ballettdirektorin: den Mietvertrag für das Tanzzentrum unterzeichnen und Anträge für Landes- und Bundesförderungen stellen. „Kulturhauptstadt ist es eben nicht, den einen großen Star einzuladen. Kulturhauptstadt sind all die kleinen Schritte, die man Tag für Tag geht, um den Chemnitzer*innen etwas Bleibendes zurückzugeben.“

Parksommer: Montags kommen Indie-Bands

Der Chemnitzer Parksommer ist recht eigentlich kein Kulturhauptstadt-Projekt. Zunächst war er vor acht Jahren vor allem dafür erfunden worden, aus dem gefühlten Unsicherheitsfaktor Stadthallenpark in lauen Sommernächten einen kulturellen Treffpunkt zu machen. Das ist fraglos gelungen – 28.000 Menschen erfreuten sich 2024 an den Veranstaltungen des Festivals, „Die durchschnittliche Zahl der Besucher * innen pro Tag wächst“, sagt Yvonne Buchheim, deren Arbeitgeberin C³ auch den Parksommer veranstaltet. Nicht nur zu den freitäglichen Poetry-Slams ist die Wiese im Stadthallenpark gut gefüllt, auch andere Programmfacetten haben sich etabliert.

„Dass zum Beispiel regelmäßig um die 80 Leute beim öffentlichen Yoga-Training im Park mitmachen, hätte ich nie gedacht.“ Trotzdem sieht sie gerade an den Nachmittagen noch genügend Potenzial, um die Publikumszahlen weiter nach oben zu treiben. Nicht zuletzt die Gäste des Parksommers sind es auch, die wesentliche Teile des Programms finanzieren – per Crowdfunding. Ursprünglich 20.000 Euro, inzwischen 25.000 Euro lautet das jährliche Spendenziel, das 2024 deutlich überboten wurde: 33.000 Euro bezahlten die Besucher * innen, hinzu kommt ein am Spendenergebnis orientierter Extrabeitrag der Volksbank Chemnitz – sodass sich die diesjährige Summe auf 37.000 Euro erhöhte.

Dies sorgt dafür, dass im Kulturhauptstadt-Jahr das Programm noch einmal erweitert wird: Künftig wird es – neben der Beibehaltung der Programmpunkte von dienstags bis sonntags – auch am Montag abendliche Unterhaltung auf der 360-Grad-Bühne im Stadthallenpark geben. Da sollen dann vor allem Indie-Bands einen festen Auftrittstermin bekommen.

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makers united: 50 Residenzen für größere internationale Vernetzung

Wie der Parksommer ist auch das Maker-Festival im Jahr 2017 gestartet – damals noch als Maker Faire Sachsen. Als makers united fand es Aufnahme ins Bid Book. „Einige der Festivals gab es ja schon vor der Kulturhauptstadt-Idee“, erinnert sich Katrin Hoffmann, Geschäftsführerin des Industrievereins Sachsen und Vorstand des inzwischen gegründeten Maker e. V.: „Ich finde es gut, dass man Bestehendes ins Programm aufgenommen und um die europäische Dimension herum weiterentwickelt hat.“ Für makers united bedeutete dies nicht nur den Namenswechsel, sondern auch regelmäßigen Austausch mit der Partner-Kulturhauptstadt Nova Gorica in Slowenien oder Maker-Festivals und Macher*innen in ganz Europa.

Der Anspruch, mit dem Festival insbesondere junge Menschen für Naturwissenschaft und Technik zu begeistern, ist aber erhalten geblieben. Dafür wird das Festival auch 2025 über vier Tage andauern – die ersten beiden exklusiv für Schulklassen aus ganz Südwestsachsen, die anderen beiden für die große Öffentlichkeit. Darüber hinaus wolle man den Festivalcharakter im kommenden Jahr stärken. Der Umstand, dass mit dem 21. Juni im kommenden Jahr der traditionelle Tag der Fête de la Musique in den Festivalzeitraum falle, die im Stadthallenpark eine feste Basis hat, begünstigt diese Idee.

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Vor allem aber wolle man 2025 noch einmal deutlich internationaler werden, betont Katrin Hoffmann. Bereits 2024 wurde ein „Maker-in-Residence“-Programm getestet – das soll es im kommenden Sommer in größerem Umfang erneut geben. Mindestens 50 Macher*innen aus ganz Europa sollen dann für ein bis drei Wochen in sächsischen Maker-Hubs zu Gast sein, Projekte mitbringen oder mit den Einheimischen neue Projekte entwickeln – und diese schließlich auf der makers united präsentieren. „Das gibt uns noch einmal eine deutlich größere europäische Reichweite – und die Kontakte, die entstehen, bleiben auch erhalten. Das haben wir in diesem Jahr festgestellt“, so Hoffmann. In einer Kooperation mit dem Wirtschaftsbereich im Chemnitzer Rathaus sollen zudem regionale Start-ups ebenso wie Gründer* innen aus Chemnitzer Partnerstädten mit den internationalen Macher * innen gematcht werden – ein weiterer Baustein für die internationale Vernetzung. Insgesamt wolle man 2025 etwa 150 Ausstellende gewinnen, sagt Hoffmann – es wäre die bisherige Rekordzahl für das Maker-Festival.

Diese Zielgröße soll dann auch 2026 erreicht werden – schrumpfen soll das Festival jedenfalls nicht. „Dank der Zuschüsse aus dem Kulturhauptstadt-Budget konnten wir unser Festival in den vergangenen Jahren bekannter machen. Das erleichtert uns jetzt die Sponsorengewinnung“, erläutert Hoffmann, wie das gehen soll. Schließlich profitierten längerfristig vor allem die regionalen Unternehmen, wenn sich der Nachwuchs für Innovation und Technik interessiere. vtz

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