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Der Frequenzbringer

Manche Gebäude zwingen uns, den Kopf in den Nacken zu legen und die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Kirchen gehören oft dazu, manche Fabrikbauten und Bahnhöfe (nicht umsonst häufig als „Kathedralen der Moderne“ beschrieben) und auch das eine oder andere Museum. Geht es nach Stadtplaner Thomas Naumann, könnte auch die künftige Spielstätte der Niners ein solches Gebäude werden: „Warum sollte diese Multifunktionsarena nicht die Parteifalte oder die Kunstsammlungen Chemnitz höhenmäßig überragen?“, fragt er.

Wie eine neue Spielstätte der Niners die Chemnitzer Innenstadt beleben soll.

Von Volker Tzschucke

Seit Ministerpräsident Michael Kretschmer sich Ende März in der Halbzeitpause eines Niners-Spiels nicht nur als Fan des Teams, sondern auch als Befürworter einer neuen Sportstätte für den Verein in der Chemnitzer Innenstadt geoutet hat, sind die Diskussionen in der Stadt lebendig. Verwundertes Nachfragen von Stadträten und Presse offenbarte, dass über die Idee schon länger beim Bauamt geredet wird: Ein Dutzend Standorte im Stadtgebiet sei betrachtet worden, erklärte Baubürgermeister Stötzer, sieben seien näher erörtert worden. Darunter eben auch der - im Besitz des Freistaates Sachsen befindliche - Platz des abgerissenen Forums hinter der Parteisäge.

Dass die Idee in allen Fraktionen des Stadtrats Freunde fand, darf nicht verwundern. „Gegen“ die Niners Stellung zu beziehen, wäre – erst recht kurz vor der inzwischen absolvierten Kommunalwahl – kaum vergnügungssteuerpflichtig. Zu positiv ist das Bild, das Mannschaft und Klub derzeit in Deutschland und Europa vermitteln. Zu groß auch der Rückhalt in der Bevölkerung, wie der euphorische Empfang des Teams nach dem Sieg des Fiba-Europe-Cup am Rathaus bewies.

Doch nicht allein ein „pro Niners“ macht die Idee einer Basketball-Arena inmitten des Stadtzentrums charmant. Die Innenstadt kann auch weiterhin jeden positiven Impuls gut gebrauchen. Mit dem angekündigten Ende der Kaufhof-Ära in Chemnitz verschwindet im Sommer ein wichtiger Einzelhändler. Die Verkaufsfläche mitsamt der sie umgebenden gläsernen Gebäudehülle mag erhalten bleiben – doch wie sie künftig bespielt wird, das wird wohl frühestens in Monaten, vielleicht auch erst Jahren beantwortet. Damit verliert die Innenstadt als Shopping-Areal weiter an Attraktivität und wird sich künftig noch schwerer tun im Vergleich mit den Malls auf der Grünen Wiese. Die Wohn- und Geschäftsbebauung in der Neuen Johannisvorstadt – das Areal neben dem Tietz – kommt nicht voran, die Krise am Bau schlägt hier voll durch. Die Idee eines Schauspielhauses in der Innenstadt hat sich ebenso totgelaufen wie Konzepte für eine Erweiterung der Kunstsammlungen. Ein zusätzlicher Wohn- und Einkaufsklotz am Rande des Stadthallenparks ist städtebaulich nicht erwünscht. Warum nicht also eine Niners-Spielstätte als künftiger Publikumsmagnet?

Ein neuer Plan

Wie sich die Innenstadt entwickeln soll, darüber macht man sich aktuell auch in der Stadtverwaltung Gedanken. Mithilfe des in Basel ansässigen Büros YellowZ, das sich schon um die Innenstädte von Ludwigshafen, das Bahnhofsquartier Offenburg, den Biotech-Standort Mainz und verschiedenste Hamburger Stadtteile gekümmert hat, soll ein „Masterplan Innenstadt“ entstehen. Bis heute gültig ist für Chemnitz der „Rahmenplan Stadtzentrum 2005“, der zwar „die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt“ habe, zugleich aber „etwas in die Jahre gekommen“ sei und „aktuelle Themen wie den stärker werdenden Onlinehandel, den demografischen Wandel und die Klimaveränderungen nicht abbildet“, wie es in einer aktuellen Vorlage für den Stadtrat heißt.

Seit Oktober 2023 laufen die Arbeiten an einem neuen Plan, zunächst mit einer Reihe von Beteiligungsformaten, etwa Workshops mit unterschiedlichen Dezernaten der Stadtverwaltung, mit Jugendlichen oder mit Menschen mit Behinderungen. Auch eine Online-Umfrage führte das Stadtplanungsamt durch, an der sich 441 Chemnitzerinnen und Chemnitzer beteiligten. Die wünschen sich eine stärkere Belebung des öffentlichen Raumes, eine Verringerung der Leerstandsquote in Gewerbe- und Ladenflächen, mehr Aufenthaltsqualität.

Die Innenstadt von Morgen, so fasst es die Stadtverwaltung zusammen, sei „eine grüne, fußgängerfreundliche Innenstadt am Fluss mit hoher Aufenthaltsqualität“. Bis zum Herbst soll nun ein Rahmenplan entstehen, aus dem sich auch mögliche Aktionen ableiten lassen.

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Ein Campus, viele Funktionen

Für Städteplaner Thomas Naumann, Geschäftsführer der Büro für Städtebau GmbH, Mitglied im Arbeitskreis Kulturhauptstadt der Architektenkammer Sachsen und im Verein Baukultur für Chemnitz, kommen die Ansprüche aus der Stadtgesellschaft an ihre Innenstadt nicht überraschend. „Unsere Städte haben sich zu lange an der Idee orientiert, Wohnen und Arbeiten zu trennen und die dadurch entstehenden Wege per individuellem Autoverkehr zurückzulegen“, weiß er. Mit dem schwächelnden Einzelhandel und womöglich zurückgehender Büronutzung – Stichwort: Home-Office – verlören solche Innenstädte an Existenzberechtigung. „Wir sind auf dem Weg zurück zur nutzungsgemischten europäischen Stadt“, fasst er einen europaweiten Trend zusammen: „Die Wohnbevölkerung wünscht sich die Aufwertung des öffentlichen Raums und so viele Funktionen wie möglich in der Innenstadt.“

Deswegen wünscht er sich nicht nur eine Niners-Spielstätte hinter der Parteisäge, nicht nur eine „Multifunktionsarena“ womöglich auch für Konzerte, wie der Stadtrat das Projekt jetzt tituliert, sondern gleich einen ganzen Sport- und Kulturcampus. „Das Areal muss architektonisch und funktionell ein Anziehungspunkt werden“, sagt er. Ausstellungs- und Bibliotheksräume für die Kunstsammlungen könnten dort ebenso integriert werden wie Restaurants, kleine Shops oder kostenlose Boulder- und Klettergelegenheiten.

Kunst, Kultur, Sport, Event, Freizeit – all dies könne zusammengedacht werden. Ein solches Gebäude könne auch für den Bilbao-Effekt sorgen. Dieser Ansatz hätte aus Naumanns Sicht den Vorteil, dass er auch ohne die Stadt als Bauträger gedacht werden kann. Dafür sollte sich eine Gruppe von Investoren finden.

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Städtebauliche Eingriffe

Damit das Areal kein Solitär wird und auch für den Rest des Zentrums – sowohl den Bereich der Kern-Innenstadt als auch Brühl und Bahnhof – zum Frequenzbringer werde, seien aber weitere städtebauliche Maßnahmen sinnvoll, denkt Naumann. „Man darf nicht nur von Bordstein zu Bordstein denken.“ Wichtig sei eine Flaniermeile vom Stadthallenpark bis zur Uni-Bibliothek, wie sie der Stadtrat im Oktober 2023 beschlossen hat. Dafür müsse man den Stadthallenpark zur Brückenstraße öffnen, aus der Brückenstraße einen Brückenplatz als Shared Space für alle Verkehrsteilnehmer*innen machen, einen Durchbruch durch die Parteisäge wagen und womöglich auch den Durchgang durch die Kunstsammlungen wieder ermöglichen.

„Man darf nicht nur von Bordstein zu Bordstein denken.“

Thomas Naumann, Stadtplaner

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Impulse dafür will die Architektenkammer auch mithilfe eines Wettbewerbs für europäische Studierende sammeln, der im Wintersemester 2024/25 ausgelobt werden soll und den die Stadt Chemnitz unterstützt. Trotzdem stehen den Ideen der Stadtplaner*innen noch einige Hindernisse im Weg, nicht zuletzt der aktuelle Bebauungsplan für die Neugestaltung der Brückenstraße. Auch von Vorbehalten der Verwaltung gegen die künftige Laufachse, die der Straße der Nationen Konkurrenz machen würde, und vom Bedürfnis, die neue Arena mit ausreichend Parkplätzen zu versorgen, ist zu hören. „Manche frühere Entscheidungen des Stadtrats zurückzudrehen, ist wahrscheinlich problematisch“, räumt auch Naumann ein. „Aber wir müssen Stadträume schaffen, die nicht trennen, sondern verbinden.“

Damit das gelingt und die Campus-Idee nicht wieder aus dem Blick gerät, müsse der Druck aus der Bevölkerung und von allen Beteiligten hoch bleiben. Schließlich könne so ein Planungsprozess mal gut zwei bis fünf Jahre in Anspruch nehmen – und dann muss auch noch gebaut werden. „Bis 2030 hier etwas stehen zu haben, wäre schon extrem sportlich“, sagt Naumann. Aber sportlich – da sind die Niners ja spitze.

Mit Masterplan zum Bilbao-Effekt

Das im Jahr 1997 eröffnete Guggenheim-Museum in Bilbao ist vor allem erst mal ein Aufsehen erregendes Gebäude: Der renommierte Architekt Frank Gehry hatte einen dekonstruktivistischen Körper ans Ufer des Flusses Nervión gesetzt, der von der namensgebenden Guggenheim Foundation mit ebenso aufregender moderner Kunst, vor allem Pop-Art, versehen wurde. Es wurde zum sichtbaren Zeichen des Wandels der baskischen Metropole von der Industrie- zur postindustriellen Stadt, der freilich schon weit früher eingesetzt hatte.

Das Jahr 1983 gilt als „Stunde Null“ für die Wiedergeburt der Stadt: Nach einer großen Flut entstand bis 1990 ein Masterplan zur Umgestaltung des einstigen „Kraftwerks Spaniens“, das mit dem Niedergang der Stahl- und Eisenproduktion zu kämpfen hatte. Die öffentlichen Institutionen aus Stadt, Region und dem spanischen Staat arbeiteten gemeinsam in einer Entwicklungsgesellschaft, die bis heute besteht, an der Umgestaltung – der innerstädtische Hafen wurde verlagert, um Flächen für öffentliches und privates Leben zu öffnen. Neben zahlreichen Wohn- und Geschäftsgebäuden entstanden unter anderem die erste Metro, ein neues Flughafenterminal, eine neue Kanalisation – und eben das Guggenheim-Museum für vorab auf 20 Jahre berechnete 250 Millionen Euro Bau- und Betriebskosten.

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Vor der Eröffnung des Guggenheim lag die jährliche Zahl ausländischer Gäste in Bilbao bei etwa 100.000. Zum zehnten Geburtstag des Museums 2007 konnten der 10-Millionste Besucher begrüßt werden. Für die Stadt bedeutete das Museum einen Imagewandel – der „Bilbao-Effekt“. Heute klagt man hier über Over-Tourism. Studien zeigen, dass sich das Bruttoinlandsprodukt der Stadt zwischen 1996 und 2015 verdoppelt hat. Nicht aufhalten konnte das Museum jedoch den Bevölkerungsrückgang in Bilbao: Zählte die Stadt 1981 noch über 433.000 Einwohnende, waren es 2022 nur mehr 344.000.

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