Krisen und Teuerungen, wohin man schaut – wird Kultur dadurch zum Luxusgut? Können Kulturschaffende, die sich noch von Pandemie-Einschränkungen der letzten Jahre erholen, künftig ihre Häuser überhaupt öffnen und Gäste in wohltemperierte Räume laden? Manche erwägen drastische Maßnahmen.
Kultur ist teuer. Auch Menschen, die sie tragen und mit Leben füllen, wollen einen vollen Kühlschrank und entsprechend Geld verdienen. Auch auf der anderen Seite der Bühnenrampe ist es nicht immer ein Erlebnis frei von Kosten: Der Besuch von Kulturproduktionen frisst Zeit, die Anfahrt Sprit, von Eintritten mal ganz abgesehen. Und die Kosten steigen. Vom Ausmaß der Preissteigerungen bekommen viele gerade erst eine Ahnung. Während die Strom- und Gaspreise schon jetzt sichtbar anziehen, wurde die Kostensteigerung für Fernwärme in Chemnitz bislang nur angekündigt. Alle anderen Waren ziehen mit, Wirtschaftsweise befürchten zweistellige Inflationsraten. Eine Erkenntnis greift um sich: Die fetten Jahre sind vorbei.
Die Bürger*innen müssen ihren Gürtel enger schnallen, abwägen, wofür sie ihr Geld ausgeben. Ein Ende des Krisenreigens, in dem sich Inflation, Energieknappheit, schwindende Ressourcen, globale soziale Ungleichheit, Krieg und Klimawandel die Hand reichen, scheint nicht in Sicht und somit auch keine Erlösung aus der drückenden Schwere des Daseins.
Der Sommer linderte die Sorgen zumindest kurzzeitig. Festivals, Freilichttheater, Sommerfeste und ähnliches erreichten zwar zumeist ihre vorpandemischen Besucher*innenzahlen nicht, konnten aber zumindest ordentlich Menschen in ihre Formate locken. Die Chemnitzer Filmnächte, der mehrwöchige Parksommer oder auch der Mittelsächsische Kultursommer, der sein Programm im gesamten Landkreis streute, zeigten sich zufrieden.
"Kultur ist auch ein sozialer Auftrag"
„Die Leute wollen Kultur“, sagt Yvonne Buchheim von den Chemnitzer Veranstaltungszentren C3. Das habe beispielsweise das Highlight-Format „Die Schlager des Sommers“ mit unzähligen Stars und Sternchen gezeigt. „Innerhalb von vier Wochen wurden da 2.000 Karten verkauft“, sagt die Pressesprecherin. Ein Trend, den die Pandemie verstärkte, ließ sich aber auch in diesem Sommer erleben: Die Menschen kaufen ihre Karten kurzfristiger. Das macht Veranstaltungen jedoch weniger planbar, vor allem Großformate, die sich erst ab einer gewissen Besucher*innenzahl rentieren.
Zudem machen aber auch der C3, zu der neben der Chemnitzer Stadthalle auch das Carlowitz Congresscenter Chemnitz, die Messe Chemnitz, das Wasserschloß Klaffenbach und das Stadion an der Gellertstraße gehören, die gestiegenen Preise zu schaffen. Strom- und Heizkosten, aber auch Personalkosten und die allgemeine Inflation machen vor den Veranstaltungszentren nicht halt. Diese sind als kommunale Betriebe jedoch angehalten, wirtschaftlich zu arbeiten – allerdings mit einer Besonderheit. „Als städtische Tochter haben wir auch einen sozialen Auftrag. Da kann man vor allem Veranstaltungen für Kinder nicht unendlich teuer machen“, sagt Yvonne Buchheim.
Als städtische Tochter haben wir auch einen sozialen Auftrag.
Yvonne Buchheim, Pressesprecherin C3 Chemnitzer Veranstaltungszentren
Insgesamt sei die Stadthalle im kommenden Halbjahr zu drei Vierteln mit Einmietungen verplant, nur ein Viertel der Veranstaltungen finden als Eigenproduktionen statt. „Geplant wird immer mit voller Auslastung“, erklärt Yvonne Buchheim. Daher liege es auch bei den Veranstaltenden, zu entscheiden, ob sich, etwa wenn es neue Corona-Auflagen gibt, die geplanten Events überhaupt lohnen und ob sie stattfinden. Die Preise zumindest seien für das nächste halbe Jahr aufgrund der langfristigen Planungen erst einmal fest, über künftige Entwicklungen lasse sich nur spekulieren. Die meisten Kulturschaffenden gehen aber von einer mittelfristigen Weitergabe der gestiegenen Kosten an die Gäste aus.
Allein gelassen werden die Veranstaltungszentren jedoch nicht. Wie Yvonne Buchheim erklärt, entwickelt die Kommune derzeit eine gebündelte Strategie für ihre Häuser – schließlich sind diese auch für die kulturelle Grundversorgung zuständig, für die die Bürger*innen mit ihren Steuergeldern bezahlen. Erste Schritte gehe man aber schon jetzt, etwa mit einer Anpassung des Beleuchtungskonzeptes, dem Ausschalten von Anzeigentafeln etwa. Auch so könne man Energiekosten sparen.
Während kommunale Einrichtungen durchaus damit rechnen können, Unterstützung zu erhalten, geraten vor allem vereins- und inhaberbetriebene Institutionen ins Schlingern. Diese müssen die gestiegenen Kosten zumeist komplett selbst tragen – eine kaum zu bewältigende Aufgabe, da die coronabedingten Ausfälle die meisten Reserven schmelzen ließen. Förderungen haben die gestiegenen Kosten noch nicht einkalkuliert, da sie oft Monate, meist sogar ein Jahr im Voraus beantragt werden müssen.
Kaum noch Einsparpotenzial vorhanden
Das Chemnitzer Fahrzeugmuseum etwa wird vom Verein „Museum für sächsische Fahrzeuge Chemnitz e.V.” geführt und unter anderem durch kommunale Gelder im Rahmen einer Institutionellen Förderung gestützt – von der auch Nebenkosten gezahlt werden können. Wie Museumsleiter Dirk Schmerschneider erklärt, habe man den Antrag jedoch schon länger unter ganz anderen Bedingungen eingereicht. „Als wir die Anträge gestellt haben, haben wir mit dem Verbrauch der letzten Jahre gearbeitet. Die Preissteigerungen waren damals noch nicht absehbar“, sagt der Museumsleiter.
Einsparpotenzial sieht er in der historischen Hochgarage an der Zwickauer Straße, in der sich sein Museum befindet, kaum noch. „Wir sind wärmetechnisch eh nicht verwöhnt, hier herrschen selten mehr als 17 Grad“, sagt er. Um die Exponate im Museum nicht zu gefährden, müsse man aber eine bestimme Grundtemperatur beibehalten, es sei also nicht möglich, die Heizungen komplett auszuschalten – auch in Schließzeiten nicht. Um zu sparen, habe das Museum in den vergangenen Jahren schon die ganze Beleuchtung im Gebäude auf LED umgestellt, das habe einige Einsparungen gebracht. Dirk Schmerschneider sieht nun klar die Politik am Handlungshebel. „Was nicht passieren darf, ist, dass die Kultur als etwas abgefrühstückt wird, was im Zweifel nicht gebraucht wird. Wir haben ja auch einen Bildungsauftrag“, sagt der Museumsleiter. Daher ist ein Aufgeben für ihn und sein Team keine Option. Bei erneuten Pandemiewellen wolle man Aktionen einfach verlagern – etwa durch mehr Arbeit in den Sozialen Medien oder Forschungsprojekte.
Kreative Lösungen sind gefragt
Wie Museen müssen auch Theater als Orte, die Besucher*innen empfangen, eine gewisse Grundtemperatur gewährleisten. Umso mehr, da die Gäste während der Vorstellung nicht in Bewegung sind und schneller frieren. Das Heizen ist für das Chemnitzer Fritz Theater, ansässig im alten Wismut-Saal in Chemnitz-Rabenstein, schon vor den derzeitigen Kostenexplosionen ein Thema gewesen. Der Theatersaal lässt sich nur mit hohem Aufwand heizen und kühlt schnell aus. Das Gebäude wird mit Fernwärme beheizt, die Preise dafür sind also derzeit noch nicht gestiegen. Wie eins-Chef Roland Warner jedoch bereits im Juli beim „eins Energieforum 2022" ankündigte, sollten sich auch Kund*innen von Fernwärme schon bald auf Preissteigerungen einstellen. Die Stromkosten sind jedoch schon jetzt gestiegen, wie Isabelle Weh erklärt.
Auch ihre Einrichtung bekommt eine Institutionelle Förderung von der Stadt Chemnitz. „Sie darf auch für Fixkosten verwendet werden. Wenn sie aufgebraucht ist, ist sie aber alle“, erklärt sie. Weitere Einsparungen sind ihr und ihrem Team kaum noch möglich, vor allem nicht das komplette Abdrehen der Heizung. „Dann erfrieren doch alle. Und bei nur neun Grad zu proben, wäre echt zu heftig“, sagt die Theaterleiterin.
Das Leitungsteam des Fritz Theaters erwägt nun, in der Heizkosten-Hochzeit, also in den kalten Monaten Januar und Februar, das Theater ganz zu schließen. „Wir überlegen, die Spielzeit zu verschieben“, sagt sie – in den wärmeren Sommermonaten sollen die Inszenierungen dann nachgeholt werden. Dann sei man zum einen in Bezug auf neue Corona-Wellen auf der sichereren Seite, zum anderen sei das Theaterangebot im Sommer insgesamt etwas geringer, sodass sich hoffentlich mehr Menschen für einen Besuch entscheiden. Wohl ist ihr bei dem Gedanken an die Schließung aber nicht – zu groß ist die Angst, dass sich die Gäste den Theaterbesuch ganz abgewöhnen.
"Es ist regelrecht schick geworden, auch mal zuhause zu bleiben."
Isabell Weh, Leiterin des Fritz Theater
„Es hat sich schon durch Corona abgezeichnet, dass der Theatergang träger geworden ist. Es ist regelrecht schick geworden, auch mal zuhause zu bleiben“, das könne sie sogar aus dem eigenen Erleben berichten, sagt Isabelle Weh. „Es ist nicht mehr so schlimm, wenn man nicht mehr überall anwesend ist, der gesellschaftliche Druck ist kleiner geworden“, so die Theatermacherin. Gleichzeitig zeigt sie sich positiv überrascht, dass das Publikum ihres Theaters zunehmend gewillt sei, sich auch mit gesellschaftlich relevanten, damit auch unbequemeren Stoffen auseinanderzusetzen. In der vorigen Spielzeit wurde die zweiteilige Mammut-Inszenierung „Kleiner Mann, was nun“ nach dem Roman von Hans Fallada ins Programm genommen. Sie handelt von einer jungen Familie in den 1920er Jahren, die in einer krisengeschüttelten Zeit unter die Räder gerät – gespickt mit Referenzen in die Gegenwart. Das Stück wurde so gut angenommen, dass es in die aktuelle Spielzeit übernommen und im Herbst erneut gespielt wird.
„Wir wollen auch weiterhin Stoffe spielen, die Diskurse nregen. Gleichzeitig müssen wir als Theater, vor allem als Privattheater, auch eine Mischung bringen. Über gute Komödien kriegt man Menschen auch in andere Stücke, man muss nur Vertrauen schaffen, dass auch diese unterhaltsam sein können“, sagt Isabelle Weh. Das Publikum ihres Hauses sei über Jahre gewachsen und bringe ein solches Vertrauen mit. Man müsse nun aber aufpassen, dass die Zuschauerzahlen nicht wieder wegbrechen.
Wer weiß, was das Frühjahr bringt
Wie das Fritz Theater, das Fahrzeugmuseum und auch die Chemnitzer Veranstaltungszentren sind derzeit viele Kulturschaffende am Überlegen, wie sie mit den gestiegenen Kosten, den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und den herrschenden Krisen umgehen sollen. Wie viel sind die Besucher*innen bereit, mehr zu zahlen? Können und wollen sie sich einen Kulturbesuch künftig überhaupt noch leisten?
Gleichzeitig sitzt ihnen aber auch die Vergangenheit noch im Nacken. Viele aufgeschobene Konzerte aus den vergangenen drei Jahren sind noch immer nicht abgearbeitet, in diesem Jahr wurden wieder mehrere Touren und Veranstaltungen coronabedingt abgesagt. Also kursieren schon gekaufte Karten, die keine Einnahmen generieren. Und dann noch das spontanere Einkaufsverhalten…
Also was tun? Sämtliche Befragte entschieden sich fürs Kämpfen, fürs Tun, für die Aufrechterhaltung von Kultur – auch, um bestehende Tendenzen nicht zu verschärfen. Denn die Angst, dass sich Menschen den Konsum mancher Kulturformen abgewöhnen oder zumindest den Fokus auf andere legen, ist da. Sie wollen nicht, dass es ihnen ergeht wie dem linearen Fernsehen, das schrittweise vom Angebot der Streamingplattformen verdrängt wird. Der Winter wird hart, für Bürger*innen, aber auch Kulturschaffende. Gleichzeitig wächst die Hoffnung auf Frühling und wer weiß, welche Blüten er nach den derzeitigen Krisen treibt.
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