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„Wenn Menschen miteinander Probleme lösen, dann sind sie auf dem besten Weg.“

Ende September 2021 wurde Stefan Schmidtke zum programmverantwortlichen Geschäftsführer der Chemnitz Kulturhauptstadt Europas 2025 GmbH berufen, seit 1. Dezember vergangenen Jahres ist er im Amt. CHEMNITZ INSIDE-Chefredakteur Volker Tzschucke traf den Kulturmanager zum Interview, um den aktuellen Stand der Vorbereitungen zu erfragen.

Herr Schmidtke, sind Sie gut angekommen in Chemnitz – und fühlen Sie sich auch gut angenommen?
Ja. Ich kann mich vor Arbeit kaum retten. Es ist das schöne Gegenteil von: Ich muss die Leute zu irgendetwas treiben.

Wo steht aktuell die Kulturhauptstadt GmbH und wo steht die Umsetzung des Programms?
Ehe es zur Umsetzung eines Programms kommt, gilt es erst einmal eine strukturelle Aufbauarbeit zu leisten, die die Geschäftsfähigkeit dieser Firma herstellen muss. Dafür müssen wir begreifen, was die Aufgaben in den kommenden Jahren sind. Da muss man zuallererst seine Nase in das Bidbook stecken, denn da steht drin, was das Geschäftsgebaren leisten soll. Da geht es nicht nur um das Organisieren von Veranstaltungen oder das Kaufen von Tanzteppich. Wenn Sie sich ein Projekt wie „Purple Path“ anschauen: Da geht es um Tourismusentwicklung, da geht es um Strukturentwicklung, da geht es um Verkehrswegeplanung. Es geht um das Aufstellen von Kunstwerken, um die technische Gewährleistung von Transporten, Sockelgüssen, Landvermessungen, Zuwegungen. Das sind sehr komplexe Aufgaben – und deshalb besteht die Arbeit im Moment aus Analyse, Analyse, Analyse. Wir müssen verstehen, was wir vor uns haben.
Als nächstes entwickeln wir zwei geregelte Verfahren. Das betrifft zum ersten die Ideengeberinnen und Ideengeber aus dem Bidbook – wie arbeiten wir mit ihnen weiter? Das zweite Verfahren beantwortet die Frage, wie wir mit neuen, zusätzlichen Ideen umgehen und die wir ab Sommer dieses Jahres einsammeln wollen.
Das sind also momentan die wichtigen Dinge: Erstens Firmenaufbau inklusive Stellenausschreibungen und -besetzungen – im Moment läuft die Ausschreibung für einen kaufmännischen Geschäftsführer. Zweitens Bidbook-Analyse. Und drittens Open Call für neue Ideen ab Sommer.

Wie lang steht Ihnen dabei Dr. Dittrich noch als Co-Geschäftsführer zur Seite?
So lang, wie es nötig ist. Wir haben mit den Theatern Chemnitz einen Geschäftsbesorgungsvertrag. Den lösen wir dann auf, wenn wir als GmbH eigenständig agieren können. Der Personalmarkt ist da durchaus schwierig. Qualifiziertes Fachpersonal für eine befristete Zeit, in unserem Fall für viereinhalb Jahre zu binden, ist nicht ganz einfach.

Bei Ihrer Vorstellung Ende September entstand der Eindruck, Sie würden sowohl inhaltlicher als auch kaufmännischer Geschäftsführer…
Der Eindruck war falsch. Es ergibt sich schon aus dem Bidbook, dass zwei Personen für zwei Stellen nötig sind. Weil im ersten Schritt nur eine der beiden Positionen besetzt werden konnte, habe ich mich bereit erklärt, zunächst auch die kaufmännische Leitung mit zu übernehmen. Aber die Geschäftsordnung der GmbH sagt, dass zwei Geschäftsführer berufen werden. In diesem Fall dann zeitversetzt. Sobald die Geschäftsführung gefunden ist, geht es mit den wichtigen Positionen wie Verwaltungsleitung, Controlling oder Buchhaltung weiter. Wenn der Ball einmal angestoßen ist, geht das dann auch etwas schneller.

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Wie viele Mitarbeiter haben Sie denn inzwischen an Bord?
Wir haben mehrere Kategorien von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Fest angestellt waren bis Ende Februar drei, Anfang März kamen einige dazu. Hinzu kommen aktuell schon zehn freie Mitarbeiter, die mit Verträgen in einzelnen Projekten stecken. Im Projekt „We Parapom“ sind drei Menschen beschäftigt, beim „Purple Path“ sind vier Leute dran. Ich gehe davon aus, dass wir am Ende circa 50 fest angestellte Personen und um die 150 freie Mitarbeiter haben werden, die jeweils sehr abgesteckte, genau definierte Dienstleistungen durchführen. Das muss im Zuschnitt auf die einzelnen Projekte genau herausgearbeitet werden.

Haben Sie jemanden aus Düsseldorf mitgebracht?
Nein, das wäre völlig falsch gewesen. Ich versuche so weit wie möglich, die ersten Stellen alle aus der Region zu besetzen. Das halte ich für unglaublich wichtig, damit auch für alle bewusst wird, dass das die Kulturhauptstadt der Chemnitzerinnen und Chemnitzer und der Region ist. Deshalb geben wir uns große Mühe, zunächst in der Region zu suchen. Wir bauen gerade unser Programmteam auf – da haben wir fünf ausgezeichnete Projektmanagerinnen und Projektmanager gefunden, die Anfang März begonnen haben, mit den Ideengebern aus dem Bidbook in Kontakt zu treten. Die werden nun dabei helfen, die Ideen aus dem Bidbook vom Ideenstatus in einen Projektentwicklungsstatus zu überführen.

Der Strukturaufbau dauert also noch ein wenig?
Diese Geduld müssen wir aufbringen. Wir werden hochgerechnet mit mindestens 150 bis 200 Menschen in den verschiedensten Projekten über vier Jahre permanent im Austausch sein. Darauf muss man vorbereitet sein, dafür brauchen wir geregelte Verfahren, sonst entsteht Chaos. Und diese Verfahren muss man zunächst erst einmal entwerfen. Aber wir haben jetzt klargestellt, wie der Fahrplan in diesem Jahr ist – da entsteht Verlässlichkeit.

Wie sehen Sie die Rolle der GmbH in den nächsten drei, vier, fünf Jahren?
Das Besondere der Kulturhauptstädte ist es, dass die Ideen aus der Einwohnerschaft kommen. Grundsätzlich sind es also die Chemnitzerinnen und Chemnitzer, die das Programm machen. Es sind die Ideen der Chemnitzerinnen und Chemnitzer, die von diesen selbst umgesetzt werden. Unsere Aufgabe als GmbH ist es, all die Ideen zu ordnen, zu strukturieren und den Finanz- und Organisationsrahmen dafür anzubieten. Natürlich werden wir in der GmbH auch noch einige eigene Programmteile erfinden müssen, aber den größten Teil, sicher 80 Prozent, liefert das Bidbook – das war immerhin das Material, was die EU-Kommission überzeugt hat, Chemnitz den Titel zu geben. Wir sind also diejenigen, die die Einwohner aus der Stadt einladen – und wenn die Lust haben auf bestimmte Aktionen, dann liegt das in ihren Händen.

Sie kommunizieren dann am Ende nur noch?
Im Moment sieht es vielleicht noch so aus, als würde die Kulturhauptstadt maßgeblich aus einer, aus meiner Person bestehen. Doch sobald die Projekte in Arbeit gehen, werden wir für jedes Projekt einzelne Ansprechpartner haben, die Projekte werden selbst kommunizieren, die Kulturhauptstadt bekommt ganz viele Farben und Töne, die mehr sind als nur die Marke. Die Menschen werden aus der Überschrift „C the Unseen“ hervortreten und sich der Öffentlichkeit zeigen. Daneben gibt es die Ministerien in Dresden, es gibt hier das Rathaus, es gibt die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen in der Kulturregion – da ist die GmbH nur ein Teil der Bewegung, deren maßgeblich Aufgabe es ist, das Ganze zusammenzuhalten.

Eine der Aufgaben, die das erste Monitoring der Europäischen Kommission im Herbst 2021 gestellt hat, war, die Trennung zwischen Stadt und Politik auf der einen und Kulturhauptstadt und GmbH auf der anderen Seite deutlicher zu ziehen. Wo sehen Sie diese Trennlinien?
Nehmen Sie als ein Beispiel die Interventionsflächen. Hier teilt sich die Arbeit in zwei Phasen. Die erste, die bauliche Gestaltung, ist eindeutig Sache des Rathauses. Wir sind in der GmbH keine Bauplaner und keine Bauingenieure – da sitzen im Baudezernat unter Herrn Stötzer die Fachleute. Wir haben insgesamt gut 30 Interventionsflächen – das sind zu 100 Prozent die Belange des Dezernates, dort gibt es 30 Millionen an Investitionsmitteln, mit denen diese Aufgaben erledigt werden. Wir als GmbH werden anschließend den Übergang in die Funktion dieser Flächen moderieren. Das heißt, zu uns kommen Initiativen, Künstler, Projektemacher, die uns sagen, in der neuen Stadtlandschaft am Fluss möchte ich gern Kino zeigen oder einen Schwimmwettbewerb veranstalten. Da kommen wir in Aktion und verstehen uns als Programmmotor. Da sind wir als Inhaltsgeber gefragt, damit die Flächen im Stadtraum in Bewegung kommen.

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Welches der Projekte aus dem Bidbook hat Ihrer Ansicht nach das Potenzial, europaweite Ausstrahlung zu entfalten?
Das über alle Projekte hinweg zu beurteilen, wäre jetzt noch etwas voreilig. Aber ich gehe zum Beispiel davon aus, dass sich alles, was sich hinter dem in die Region orientierten Projekt „Purple Path“ verbirgt, am Ende eine Dimension erreicht, die so groß ist wie das Programm in der Stadt Chemnitz selbst. Wir haben hier momentan 25 Gemeinden, die ihre Mitarbeit zugesichert haben. Die Arbeitsgruppe um Kurator Alexander Ochs ist aufgebaut mit Produktionsleitern, Budgetierern und Planern. Auch die ist aktuell in der Analysephase, was in den verschiedenen Orten zu leisten sein wird – von der grundständigen Sanierung von Flächen über die letztliche Ausschilderung der Kunstwerke, damit man sie 2025 auch findet, bis hin zur Entwicklung eines touristischen Programms. Hinzu kommen Künstler aus Sachsen und aus aller Welt, die die Kunstwerke entlang des „Purple Path“ gestalten. Das ist momentan also sicher das größte Projekt.
Aber wir haben bislang in der GmbH noch kaum über „3.000 Garagen“ gesprochen, dazu wird es im April einen ersten Workshop mit den zehn Initiatoren geben. Wenn wir das auf den Weg bringen, involvieren wir am Ende vielleicht 4.000 oder 5.000 Menschen, dann überholt das in punkto Größe den „Purple Path“ ganz locker. Ebenfalls für den April ist die nächste Pflanzaktion von „We Parapom“ angesetzt. Da werden vier oder fünf eingetragene Vereine mit all ihren Mitgliedern dahinterstehen. Auch das erreicht also eine gewisse Größe. Bei „We Parapom“ haben wir eine regionale Dimension, die europäisch denkt. Der „Purple Path“ hingegen bringt Europa, europäische Künstler und europäische Praxis in die Region.

Und lockt der „Purple Path“ dann auch Touristen aus Europa an?
Ja, darauf ist das Projekt ausgelegt. Das muss es auch hergeben. Wir haben unter den eingeladenen Künstlerinnen und Künstlern einige sehr große Namen, zum Beispiel aus dem Bereich der Land-Art. Wir werden hier sicher in den kommenden Monaten erste Details bekanntgeben können.

Erklärtes Ziel des Bidbooks ist es, die „stille Mitte“ der Gesellschaft wieder anzusprechen, die manchmal so unsichtbar ist, dass mancher denkt, es gibt sie gar nicht mehr – und die Gesellschaft deswegen als gespalten betrachtet. Wie weit kann die Kulturhauptstadt dazu beitragen, hier wieder zusammenzuführen?
Ich glaube, durch die Ideenfindung fürs Bidbook aus der Stadtgesellschaft heraus und vor allem durch die Umsetzung dieser Ideen machen wir das Beste, was zu tun möglich ist: Wir bringen die Menschen wieder in Aktion. Wenn Menschen miteinander Probleme lösen, dann sind sie auf dem besten Weg. Dann streiten sie sich vielleicht auch. Aber sie streiten um eine gemeinsame Lösung. Aber ich halte die Bezeichnung der „stillen Mitte“ eher für ein Vehikel. Im Prinzip gehöre selbst ich zur stillen Mitte, ich gehe zwar wählen und darf auch wegen meines Berufs hin und wieder in der Zeitung etwas sagen – aber das ist selten politisch. Wenn wir uns über die stille Mitte unterhalten, dann ist es eher eine Verständigung über Öffentlichkeit und Nicht-Öffentlichkeit und wie wir uns trauen, in der Öffentlichkeit aktiv zu werden. Ich halte den Begriff eher für eine künstlerische Wortfindung als dass man die in den wissenschaftlichen Bereich überführen könnte.
Insofern ist die Entwicklung des Kulturhauptstadt-Programms ein Anlass und die Chance für alle, die sich nicht politisch betätigen wollen oder können, sich zivilgesellschaftlich zu betätigen und ihre Stadt zu gestalten – und zwar so, wie sie das wollen und wie sie wünschen, dass es um sie herum aussehen sollte. Und so, wie die Chemnitzerinnen und Chemnitzer mich mit Ideen überrennen, bin ich absolut optimistisch, dass es viele Vorschläge gibt, mit denen wir eine ganze Menge bewirken können.

In der Stadt wurden im gesamten Prozess schon sehr viele Erwartungen geweckt, was die Chance zur Mitgestaltung betrifft – und trotzdem entwickelte sich das Gefühl „Bist du nicht im Bidbook, bist du nicht dabei“…
Das ist auf keinen Fall so. Wir werden im Sommer einen Open Call machen für alle Projekte, die nicht im Bidbook stehen. Da sind wir wieder am Anfang: Wir bereiten dafür aktuell die Strukturen vor, denn ohne diese Strukturen werden wir uns verlieren.
Deshalb verpflichte ich sie hiermit: Teilen Sie den Leuten mit: 1. Wir reden jetzt im Frühjahr mit den Projekten, die im Bidbook stehen. 2. Im Sommer 2022 gibt es einen Open Call für alle Ideen, die nicht im Bidbook stehen. Und 3. Wir haben ein Superprogramm auch schon in diesem Jahr, von Baumpflanzungen über die Friedensfahrt bis zu „Makers United“, dem Hutfestival und dem Festival „Begehungen“, mit dem wir nach Thalheim gehen. Das sind die Punkte, an denen wir aktuell arbeiten.

Das machen wir auf jeden Fall. Herr Schmidtke, wir danken für das Gespräch.

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