Konzerte, Theaterbesuche, Festivals und andere Kulturevents mussten während der Pandemie ausfallen – auch in den letzten Wochen wieder. Wie hat sich das Kaufverhalten der Menschen in Südwestsachsen seitdem geändert? Kaufen sie noch Tickets vorab, wagen sie Abonnements oder stehen wir vor ganz neuen Trends? Fachleute zeigen sich vage optimistisch.
Gut Ding will Weile haben – für diese Worthülse haben Kulturfans mittlerweile nur noch ein müdes Lächeln übrig. Zu stark wurde ihre Geduld seit Pandemiebeginn auf die Probe gestellt. Konzerte wurden in den vergangenen Jahren immer wieder verschoben oder ganz abgesagt – und die Unsicherheit, ob, wann und wie eine Veranstaltung stattfinden kann, bleibt bestehen. Ein Ende scheint nicht in Sicht – vor allem nicht vor Weihnachten.
Schlagerfans, die etwa ein Konzert von Matthias Reim im Freiberger Konzert- und Ballhaus Tivoli besuchen wollten und ihre Karte für die Veranstaltung am 17. Dezember 2020 kauften, müssen seit über einem Jahr auf ihr verschobenes Konzert warten. Am 12. Januar 2022 soll das Konzert nun endlich stattfinden, wenn es das Infektionsgeschehen zulässt. Martin Höher, der Geschäftsführer des Tivoli, rechnet aber auch im Januar noch mit besonderen Bedingungen. „Wir können nicht davon ausgehen, dass bei einem solchen Konzert Abstandsregeln gut eingehalten werden“, sagt er. Auch seinen Mitarbeiter*innen wolle er die Kontrolle und Durchsetzung nicht zumuten – daher habe sein Betrieb entschieden, das Konzert gleich unter 2G-Bedingungen stattfinden zu lassen. Die Entscheidung fiel, noch bevor die Hygienebestimmungen des Landes Sachsen diese im November zur Norm machten. Zutritt hätten dann nur Geimpfte und Genesene. Der Unmut war groß.
Ich glaube, wenn Corona vorbei ist und wieder eine gewisse Sicherheit bei den Veranstaltungen besteht, kommen die Leute auch wieder
Martin Höher, Geschäftsführer des Tivoli Freiberg
Zwischen Unsicherheit und Kulturlust
Martin Höher wirbt um Verständnis – wie auch seine Kolleg*innen in der Region. Schließen möchte er das Tivoli nicht, wenn es aufgrund Behördenvorgaben nicht sein muss. Kulturinteressierte sollen in seinem Konzerthaus auf ihre Kosten kommen. Denn der Bedarf sei da, selbst unter verschärften Hygienebedingungen. Diese beinträchtigen den Betrieb des Hauses jedoch enorm. Normalerweise können 1500 Gäste das Haus gleichzeitig besuchen – mit Abstand können nur noch 500 Menschen ins Haus. Veranstaltungen im Sitzen konnten 650 Besucher*innen beiwohnen, unter Pandemiebedingungen sind es höchstens noch 320. Finanziell rentable Veranstaltungen lassen sich laut Martin Höher unter diesen Bedingungen kaum auf die Beine stellen. Seine Einrichtung profitierte in den vergangenen Monaten vom Förderprogramm „Neustart Kultur“. „Sonst hätten wir die Band Karussell Ende Oktober nicht nach Freiberg holen können“, sagt er. Insgesamt werden zehn Veranstaltungen im Tivoli gestützt. Zudem hofft Martin Höher auf weitere Fördermittel, um durch die vierte Pandemiewelle zu kommen und danach auch wieder öffnen zu können.
„Ich glaube, wenn Corona vorbei ist und wieder eine gewisse Sicherheit bei den Veranstaltungen besteht, kommen die Leute auch wieder“, so Höher. Bestätigung habe ihm der diesjährige Sommer gegeben. Da habe das Tivoli Veranstaltungen unter freiem Himmel angeboten – etwa im mittelsächsischen Schloss Freudenstein. Das „Schloss Open Air“, ein Partyformat, habe etwa unter 3G-Regeln stattgefunden. 960 Karten wurden im Vorverkauf gebucht. „Wir waren ausverkauft noch vor dem Veranstaltungstag, das hatten wir noch nie“, sagt der Geschäftsführer. Normalerweise würden seine Gäste ihre Karten für Partys vor allem an der Abendkasse kaufen – in dem Falle sei das Verlangen nach einem solchen Event wohl sehr groß gewesen. Auch die Konzerte, die stattfinden können, seien gut gebucht.
Doch nicht nur die Konzerte und Tourneen sind von der Pandemie betroffen, auch die Theater der Region müssen sich auf eine ganz neue Situation einstellen – die die Pandemie überdauern könnte.
Auch die Abos kommen zurück
„Wir stecken mitten in der vierten Welle. Dennoch haben wir ein Publikum, was uns unterstützt und durchaus Lust auf Theater hat“, sagt Mario Köppe. Er ist der Marketingchef der Theater Chemnitz und hat auch Ticketverkäufe und Abos im Blick. Als Beispiel nennt er das Musical „Footloose“, welches die aktuelle Saison eröffnete. „Der September ist normalerweise eher schwach besucht – in diesem Jahr hatten wir jedoch einen guten Start“, sagt er. 13 Vorstellungen hat das Team in nur drei Wochen gespielt – sie seien sämtlich gut besucht gewesen, sagt Köppe.
Allerdings sei eine ausverkaufte Vorstellung unter Corona-Bedingungen kaum mit denen unter „normalen“ Voraussetzungen vergleichbar in der Auslastung. Denn während normalerweise 700 Gäste gleichzeitig das Chemnitzer Opernhaus besuchen können, so sind es mit Abstand und Schachbrettplatzierung nur noch 360 Personen. Auch die anderen Häuser mussten ihr Platzangebot stark reduzieren.
Dabei sei die Auslastung bei den Vorstellungen in sämtlichen Sparten seit der Wiedereröffnung der Häuser nach dem Lockdown groß gewesen. „Aus dem Schauspielhaus hören wir, dass die Leute unheimliche Lust auf Komödien, auf vergnügliche Stücke haben“, so Mario Köppe. Das heiße aber nicht, dass künftig nur noch derlei auf die Bühne komme. Schließlich haben, wie er sagt, die städtischen Theater auch einen Bildungsauftrag und wollen verschiedene Geschmäcker bedienen.
Dennoch muss auch die kommunale Kultureinrichtung darauf achten, dass die Vorstellungssäle gut gefüllt sind. „Es ist immer eine Unzufriedenheit da, wenn wir keine Auslastung von 100 Prozent haben“, erklärt der Marketing-Chef. Die Chemnitzer Theater seien zwar nicht im gleichen Maße wie etwa private Theater und Veranstaltungsorte an Profit und Wirtschaftlichkeit gebunden, man müsse sich aber vor dem Rathaus sowie dem Stadtrat verantworten.
Ob eine Vorstellung zum Erfolg wird oder nicht, lässt sich im Theater derzeit weniger gut planen, als vor der Pandemie. „Wir erleben viele kurzfristige Buchungen“, hat Köppe festgestellt. Laut seiner Kollegin Uta Thomsen, die für die Öffentlichkeitsarbeit der Theater zuständig ist, liegt das vor allem an der Unsicherheit der Menschen über das aktuelle Pandemiegeschehen. „Viele buchen ihre Tickets eine Woche vor der Vorstellung“, so Thomsen – vor der Pandemie seien die Karte oft Monate vorher gekauft worden. Damals wie heute gäbe es aber Unterschiede in den Sparten. „Im Figurentheater wird kurzfristiger gebucht als in der Oper“, sagt sie und vermutet dahinter Eigenheiten des jeweiligen Kernpublikums, welches im Figurentheater im Schnitt etwas jünger ist als im Musiktheater.
Während der Buchungstrend eher hin zu mehr Flexibilität geht, wird das Abonnement-Angebot der Theater noch immer angenommen – auch wenn Abos nur einen kleinen Teil der Ticketverkäufe insgesamt ausmachen. Wie Mario Köppe erklärt, verkaufen die Theater etwa 200.000 Tickets pro Jahr. Vor der Coronapandemie existierten etwa 3200 Abonnements, das mache nur etwa 24.000 Karten aus, also ein Achtel der Gesamtsumme. „Während der Pandemie haben wir den Leuten angeboten, ihr Abo zu pausieren, insgesamt haben wir einen Schwund von 35 Prozent.“ Generell zeigt er sich optimistisch, dass es wieder einige Abos mehr werden – generell bestehe in Chemnitz dafür aber weniger Bedarf als in anderen Städten. „Wenn es Verknappungen und Vorstellungen geben würde, die nur mit einem Abonnement besucht werden können, dann würde es auch mehr Zulauf für dieses Format geben“, sagt der Theatermitarbeiter. Wie seine Kollegin Uta Thomsen erklärt, versuche man aber, wenn die Nachfrage nach Stücken das Angebot übersteigt, eher mit Zusatzvorstellungen zu reagieren.
Klärungsbedarf am Kartenschalter
Während das Theater sein Angebot bis zu einem gewissen Grad selbst bestimmen kann, so stehen andere Teile der Veranstaltungsbranche vor Herausforderungen und Abhängigkeiten. Noch vor einigen Jahren war die Vorweihnachtszeit eine Zeit der großen Bekanntgaben: Bands kündigten Tourneen an, die oft erst ein bis zwei Jahre später stattfinden sollten – die Tickets dafür landeten trotzdem unter den Weihnachtsbäumen der Menschen in der Region. Vorher gingen sie über den Ladentisch von Jörg Krumpelt und seinen Kolleg*innen von „City Tickets“ in Chemnitz.
Das wird in diesem Jahr anders sein. Zu groß ist die Unsicherheit – vonseiten der Künstler*innen und Veranstaltenden, aber auch bei den Gästen. Unklar ist, ob und unter welchen Bedingungen Konzerte, Partys, Comedy-Auftritte und Events überhaupt stattfinden können. Zudem haben sich bei vielen Menschen auch aufgeschobene Tickets angesammelt – und einiges an Frust.
Wie Jörg Krumpelt erzählt, habe er immer wieder Menschen im Laden stehen, deren Konzerttermine mittlerweile nicht nur einmal, sondern viermal verschoben wurden. Inzwischen wollen viele ihre Karten zurückgeben: „Wir sind gerade leider mehr mit Zurücknahmen beschäftigt als mit dem Verkauf von Karten“, berichtet er. Vielen sei die Unsicherheit zu groß, ob denn der nächste geplante Termin stattfinden könne – zudem können nicht alle Menschen 2G-Konzerte besuchen, manche lehnen auch 3G-Bedingungen ab.
Wir sind gerade leider mehr mit Zurücknahmen beschäftigt als mit dem Verkauf von neuen Karten.
Jörg Krumpelt, Inhaber von City Ticket in Chemnitz
Auch vonseiten der Veranstalter*innen werden Hürden aufgebaut. Laut Jörg Krumpelt komme es schon länger vor, dass die Veranstaltungsagenturen ganz genau auf die Vorverkaufszahlen bei Konzerten schauen. Läuft es schlecht, ist es nicht selten, dass Konzerte abgesagt oder verschoben werden. Das sei in Hinblick auf das veränderte Kaufverhalten aber bedenklich und verursache eine Abwärtsspirale – da so auch die Unsicherheit der Kund*innen steige, ebenso wie der Anreiz, vorab Karten zu kaufen, wenn doch die Möglichkeit besteht, dass die Veranstaltung noch abgesagt wird. Lösungen kann er noch nicht anbieten, da gelte es vorerst abzuwarten, wie sich die Lage nach der Pandemie entwickelt. Krumpelt vermutet aber, dass die Neigung zur Flexibilität, zum spontanen Kartenkauf weitestgehend erhalten bleiben wird und dass sich die Branche darauf einstellen muss.
Megakonzert vs. kleine Räume
Gleichzeitig werden die Veranstaltungstermine rarer: „Der Trend geht dahin, dass eher weniger Konzerte angeboten werden, dafür sind sie aber größer“, sagt Martin Höher vom Tivoli. Er sieht das auch an seinem eigenen Haus. Der Trend hat wirtschaftliche Gründe: Denn egal, wie groß die Veranstaltung ist – es wird immer Personal für Technik, Garderobe, Betreuung und Reinigung gebraucht. Sind die Veranstaltungen kleiner, werden sie auch teurer. Schon jetzt habe es das Tivoli nicht immer leicht, Künstler*innen für die Räumlichkeiten zu gewinnen.
„Das wird nach Corona nicht anders. Wir werden uns genau damit befassen müssen, was wir künftig machen“, sagt Martin Höher. Dabei müsse man auch Szenarien überdenken, die eine generelle Verknappung der Sitzplätze beinhalten. Schließlich sei es durchaus möglich, dass es sich bei der pandemischen Lage um ein langfristiges Phänomen handele. sah