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Gute Schule selber machen

Das System Schule ist verkrustet und passt nicht zum Kind? Viele Menschen in Südwestsachsen meckern nicht nur, sondern wagen sich selbst an Schulgründungen. Mit vielen Idealismus wollen drei neue Schulen die Bildungslandschaft ergänzen - jede auf ihre Weise.

Dass der Rohrstock nicht in den Unterricht gehört, darauf können sich heute die meisten Eltern und Bildungsexpert*innen einigen. Noch vor 100 Jahren war das anders. Seitdem hat sich viel getan, es gelten andere Werte – in der Gesellschaft wie im Schulsystem. Wie die Zukunft aussehen soll, dazu gibt es so viele Ideen wie Köpfe. Welche Werte sollen die Gesellschaft, die Bundesrepublik, das Land Sachsen künftig prägen? Der Grundstein dafür wird (auch) in der Schule gelegt. Dementsprechend wollen in diesem Bereich viele Parteien, darunter der Staat, Eltern, Kirchen und andere Interessengruppen, mitbestimmen. Möglich ist das nur bedingt. Denn das Recht auf Bildung ist im Grundgesetz verankert. In Artikel 7 wird erläutert, dass der Staat das Bildungsmonopol hat, welche Rolle die Religion spielen darf und unter welchen Umständen Freie Schulen gegründet werden dürfen. Auch in der Region Chemnitz und ganz Südwestsachsen beschäftigen sich Menschen mit der Frage nach guter Schule und arbeiten daran, ihre Ideen in die Praxis zu übersetzen. Doch wie gründet man eine neue Schule?

"Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitz-verhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist."

Grundgesetz Artikel 7, Absatz 4

GRÜNDEN JA, ABER MIT BEDINGUNGEN

Bevor eine neue Schule auch wirklich Kinder ausbilden darf, wird sie genau geprüft. Das Kultusministerium, das Landesamt für Schule und Bildung (Lasub), Kommunen und manchmal sogar Stadt-, Kreis- und Gemeinderät* innen wollen dabei ein Wörtchen mitreden. „Die Bildung soll in staatlicher Hand bleiben, damit alle das Gleiche bekommen“, begründet Frank Döderlein dieses akribische Vorgehen der Behörden. Der Schulgründungsexperte ist Vorsitzender des Interessenverbandes „Netzwerk sächsischer Schulgründungsinitiativen“, kurz Nessi. In dieser Funktion betreut er mehrere Schulprojekte in Sachsen, berät mittlerweile aber auch Schulgründungsinitiativen in anderen Bundesländern. Daher kennt er die Bedingungen genau, die eine neue Schule erfüllen muss. „Es gibt zwei Ausnahmen zur staatlichen Schule. Das sind zum einen Bekenntnisschulen, also Schulen, die nach einem bestimmten Glauben ausgerichtet sind. Und zum anderen sind das Schulen, die ein besonderes pädagogisches Interesse abdecken“.

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GLAUBE IM KLASSENZIMMER

Dass Religion und Schule zusammengehören, ist Sandy Hänsel und ihrem Mann schon lange klar. „Wir sind Christen und haben unseren Sohn ins evangelische Schulzentrum in Chemnitz gegeben, damit haben wir gute Erfahrungen gemacht“, erklärt Sandy Hänsel. In ihrem Heimatort Limbach-Oberfrohna habe es ein solches Angebot aber nicht gegeben. Zwar verfolge die Grundschule Bräunsdorf schon einen christlichen Ansatz, Schüler*innen in den oberen Klassenstufen mussten jedoch weite Wege auf sich nehmen. „Wir haben einen Mangel gespürt und uns berufen gefühlt, ihn zu beseitigen“, erinnert sie sich. Sie und ihr Mann fingen also an, per Aushang in Kindertagesstätten nach Gleichgesinnten zu suchen – und wurden schnell fündig.

Das war vor acht Jahren. Die kleine Gruppe besuchte ein Gründer*innenseminar für christliche Schulen und gründete einen Verein. Es fanden sich „Säulen“, wie Sandy Hänsel sie nennt, also Menschen, die sich in verschiedenen Fachbereichen wie Planung, Finanzen und Pädagogik besonders gut auskennen. Das Konzept des Freien Evangelischen Schulzentrums Limbach, kurz Fels, erhärtete sich. Man wandte sich an das Lasub, welches beratend zur Seite stand. Nach langer Ortssuche, einigen Rückschlägen und vielen Stunden der Arbeit und Planung eröffnete die Fels- Schule im Spätsommer 2019. Da Oberschule und Gymnasium dort zusammengehören, fährt Fels zweizügig, also mit je einer Klasse für jede Schulform. „Wir achten darauf, gläubige Lehrer einzustellen und die Werte des Glaubens auch im Schulalltag zu leben, etwa Mitgefühl und Vergebung“, erklärt Sandy Hänsel. Zum Konzept gehören zudem Andachten, regelmäßige Gottesdienste, die die Lernenden selbst mitgestalten, und Klassenleiterstunden. „Außerdem schicken wir unsere Fünftklässler gleich zu Beginn des Schuljahrs gemeinsam auf Klassenfahrt, damit sie als Gruppe zusammenfinden können“, so Hänsel, die die Schule als Leiterin betreut.

Derzeit läuft Fels zwar noch hauptsächlich über Schulgeldzahlungen der Eltern sowie Spenden. Ab dem dritten Jahr winken der Schule jedoch die staatliche Anerkennung und damit höhere Zahlungen von öffentlichen Geldern. Künftigen Schulgründer*innen rät Hänsel: „Wichtig ist es, auch in schwierigen Stunden einen langen Atem zu haben und das Ziel nie aus den Augen zu verlieren.“ Während Bekenntnisschulen in Sachsen erfahrungsgemäß relativ leicht Genehmigungen erhielten, ist laut Frank Döderlein der Nachweis eines besonderen pädagogischen Konzeptes mit zusätzlichen Hürden belegt.

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FREIE SCHULEN ALS EXPERIMENTIERFELD

„Es darf keine Schule gegründet werden, nur weil Eltern das persönlich wollen. Wenn es den Glauben nicht gibt, braucht es einen besonderen pädagogischen Ansatz. Das heißt: da soll etwas ausprobiert werden, was von staatlichen Schulen später übernommen werden kann“, erklärt Frank Döderlein. Häufig seien das Modelle wie Waldorf oder Montessori, Mischformen oder auch Konzepte, die schon in anderen Bundesländern getestet werden.

Für den Verein Abenteuer Erzgebirge der zwischen Olbernhau, Marienberg und Zschopau eine Freie Demokratische Schule gründen möchte, liegt der Schwerpunkt im Ermächtigen von Kindern und Jugendlichen dazu, mitentscheiden zu dürfen. „Wir wollen weniger eine Struktur, die von oben herab agiert, wie es staatliche Schulen tun“, sagt Elisabeth Glöckner. Die ausgebildete Lehrerin kam, wie sie erzählt, nach der Geburt ihres Kindes vor einigen Jahren ins Grübeln. Sie tat sich mit fünf anderen Familien zusammen, die sich ebenfalls eine neue Schule nach modernen Konzepten wünschten. Sie gründeten einen Verein, vernetzten sich über Nessi mit anderen Schulen, begannen, ihr Konzept Ämtern vorzulegen. „Wir wollen eine Mischung verschiedener reformpädagogischer Ansätze“, so Glöckner. Dabei sollten Kinder und Jugendliche in Entscheidungsfindungsprozesse einbezogen werden, etwa zur Verwendung von Geldern, welche Aktivitäten geplant und wie die Lerninhalte gestaltet werden. Zudem sollen Kinder von der ersten bis zur zehnten Klasse zusammen unterrichtet werden. Das Modell heißt in Sachsen Oberschule Plus. An die in Sachsen vorgegebenen Lehrpläne wolle man sich im Unterricht halten, allerdings mit eigener Zeiteinteilung. Der Prozess der Schulgründung läuft.

Derzeit suchen die Vereinsmitglieder nach einem passenden Schulgebäude, in dem künftig um die 150 Kinder lernen sollen. Dass der Bedarf nach einer solchen Schule in der Region da ist, konnte der Verein in einer Online-Umfrage erfahren. „Wir werden von Anfragen regelrecht überrannt“, erklärt Elisabeth Glöckner. Wenn alles wie geplant läuft, könnte die Schule im kommenden Jahr öffnen.

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AUSTESTEN DER GRENZEN INNERHALB DES SYSTEMS

Schon in diesem Jahr nimmt die Kooperationsschule Chemnitz ihre Arbeit auf. Zu Beginn des neuen Schuljahrs werden in der Gesamtschule zwei erste und zwei fünfte Klassen in den Unterricht starten. Die Initiatoren vom Verein Gute Schule sind dabei über einen Zeitraum von mehr als sieben Jahren den Königsweg der Schulgründungen in Sachsen gegangen. Ihr Ziel: eine staatliche Schule mit modernem Konzept gründen. Inklusiv sollte sie sein, eine Gesamtschule, in der Kinder und Jugendliche möglichst lange zusammen lernen können, offen sollte sie sein für Input von außen, für Lernen in der Praxis. Orientiert habe man sich dabei am Chemnitzer Schulmodell, ebenfalls eine staatliche Schule.

Doch: „Ein System ist leider nicht dafür gemacht, alternative Konzepte zu schaffen“, sagt Marko Rößler vom Verein. Immer wieder habe man ihn und sein Team gefragt, ob sie nicht lieber eine Freie Schule gründen wollen. Sie lehnten ab. „Es ist wichtig, dass auch staatliche Schulen neuen Input bekommen“, so Rößler. Sein Mitstreiter Ole Dickfeld merkt an: „Wir fragten uns: Wie weit ist der Spielraum? Das wollen wir austesten“. Wie er erklärt, seien viele Strukturen an staatlichen Schulen historisch gewachsen. Sie basieren eher auf Gewohnheit und seien per Gesetz nicht konkret festgelegt – das beträfe etwa die Dauer einer Unterrichtsstunde, aber auch deren Gestaltung. Die Kooperationsschule wolle dieses Spannungsfeld austesten und hat sich dafür ein großes Team von Engagierten, aber auch Wissenschaftler*innen an Bord geholt.

Dass die Gründung dann tatsächlich genehmigt wurde, liegt an der sächsischen Bevölkerung. 2018 brachte ein Bündnis für Gemeinschaftsschulen im Freistaat den Durchbruch. Wie Marko Rößler erzählt, hätten damals Linke, Grüne und auch die SPD Unterstützung angekündigt. Mit Erfolg: Gemeinschaftsschulen in Sachsen sind mittlerweile erlaubt, wenn auch mit scharfen Regeln. Dem Verein Gute Schule kam das Zupass und auch die Demografie spielte den Mitgliedern in die Hände. „Der Bedarf staatlicher Schulen richtet sich nach der Anzahl der Kinder“, erklärt Marko Rößler. In den vergangenen Jahren sei die Kinderzahl gestiegen und so sei auch der Bedarf nach neuen Schulen gewachsen.

Nun ist es also soweit, als staatliche Schule werden auch Kinder aus dem Umfeld beschult, darunter, wie die Initiatoren sagen, auch mehrere Kinder mit Migrationshintergrund oder Handicap. „Wir haben eine bunte Schülerschaft zusammenbekommen“, freuen sie sich. Nun müsse sich die Schule etablieren. Sie startet in einem Interimsgebäude auf dem Sonnenberg, schon bald soll aber der Bau für ein eigenes Gebäude starten. Nach ihrem Verein wollten die Aktiven ihre neue Schule übrigens nicht benennen, schließlich sei „Gute Schule“ auch eine Kampfansage und werte gleichzeitig andere Konzepte ab. „Wir sind nicht die einzigen, die gute Schulen machen und machen wollen“, sagt Marko Rößler. Daher wird künftig die „Kooperationsschule Chemnitz“ ihre Türen öffnen und weiter testen und forschen, was „Gute Schule“ eigentlich ist und sein kann. Vor allem aber, so Rößler – wobei er auch einen Nerv der anderen Schulgründer* innen trifft – solle Schule in Bewegung bleiben, um Kinder so gut wie möglich auf die Zukunft vorzubereiten.

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