Der Titel Kulturhauptstadt wird Chemnitz verändern. Das soll nicht nur mental gelten, sondern auch städtebaulich. Statt wie andernorts ein großes Projekt anzustoßen – etwa den Neubau eines Schauspielhauses, einen Anbau für die Kunstsammlungen oder eine Sportarena für die Niners -, stehen im Bidbook der Chemnitzer Bewerbung viele kleinere Bauvorhaben. Auf sogenannten „Interventionsflächen“ sollen gestalterische und bauliche Impulse gesetzt werden, die Stadtteile neu beleben und eine neue Kultur des Miteinander entfachen.
An die 30 Interventionsflächen hat sich die Stadt vorgenommen. Viele kleinere Vorhaben werden gemeinsam mit Ortschaftsräten und Bürgerplattformen in den Stadt- und Ortsteilen realisiert. Überwiegend wird derzeit noch darüber entschieden, welche Flächen für Interventionen infrage kommen. Vier Vorhaben sind als größere Maßnahmen geplant: Die alte Hartmann-Fabrik im Stadtzentrum soll zum zentralen Informations- und Besucher*innenzentrum zum Kulturhauptstadt-Jahr ausgebaut werden. Entlang der Chemnitzer Flüsse und Bäche entstehen unter dem Motto „Stadt am Fluss“ gleich eine ganze Reihe neuer Anlaufpunkte. Die größten Veränderungen sollen im ehemaligen Betriebshof der Stadtwirtschaft am Fuße des Sonnenbergs sowie im Straßenbahndepot in Kappel erfolgen. Diese beiden Vorhaben hat sich Chemnitz Inside genauer angeschaut.
EIN HUB FÜR DIE KREATIVWIRTSCHAFT – DER KREATIVHOF „DIE STADTWIRTSCHAFT“ AUF DEM SONNENBERG
Es war das Jahr 2019, als der frühere Betriebshof der Chemnitzer Stadtwirtschaft zurück ins Licht der Öffentlichkeit drängte. Das vormalige Verwaltungsgebäude sollte im Zuge des Programms „KRACH – Kreativraum Chemnitz“ für Projekte und Initiativen aus dem Bereich der Kreativwirtschaft geöffnet werden. Mehrere Büro- und Werkstattflächen standen dafür zur Verfügung, eine Vielzahl von Bewerber*innen ebenso – und im August 2019 wurden die Preisträger*innen gekürt. Sofort einziehen konnten die Projekte nicht: Zunächst mussten Sanierungsarbeiten abgewartet werden.
Inzwischen sind beinahe drei Jahre vergangen. Der Verwaltungsbau, das sogenannte Haus D, wurde von der Stadt renoviert, die KRACH-Projekte sind ein- und die ersten auch schon wieder ausgezogen. Unter der Trägerschaft des Branchenverbands Kreatives Chemnitz und unter tätiger Mithilfe eines Stadtteilmanagers für Wirtschaft, Kreativwirtschaft und Netzwerkarbeit lebt das Haus D – und die Planungen, das gesamte Areal fortzuentwickeln, wurden vorangetrieben. Nicht immer erfolgte dies ohne Nebengeräusche: Bestandsmieter fühlten sich übergangen, Stadträte aus rechtspopulistischen Parteien fürchteten ein chaotisches Sodom und Gomorrha und noch dazu ein Steuergeldgrab, wenn man hier zu viel intervenierte.
Doch immerhin, der Stadtrat als Ganzes genehmigte im vergangenen März ein „Entwicklungsszenario für den Standort ehemalige Stadtwirtschaft als Modellprojekt der Chemnitzer Stadtentwicklung“. Parallel gelang es der Stadt, die Revitalisierung der Stadtwirtschaft im Programm „Nationale Projekte des Städtebaus“ zu platzieren – eine Bundesförderung über 660.000 Euro inklusive.
Insgesamt 6.000 Quadratmeter Nutzfläche stehen nun auf dem Prüfstand, ein ganzes Karree zwischen Augustusburger Straße, Zietenstraße, Jakobstraße und Schüffnerstraße, bestehend aus drei Höfen und fünf Gebäuden. „Die Gebäude sollen wie Haus A niedrigschwellig saniert und in der technischen Versorgung besser ausgestattet werden“, erklärt Rocco Zühlke, der seit 2019 als Stadtteilmanager und Verbindungsglied zum Kreativen Chemnitz die Entwicklung der Stadtwirtschaft begleitet. Mit einer Mischung aus Kunst und Kultur, Produktion mit lokaler Relevanz, Handwerk und sozialen Begegnungen solle ein Ort des Austausches entstehen, ein Stadtteilzentrum und gleichzeitig ein Hub für regionale wie überregionale Start-ups. „In unserer Vision sind wir 2025 gleichermaßen anziehend für die Bewohner*innen der anliegenden Stadtteile wie für die Besucher*innen der Kulturhauptstadt Chemnitz aus ganz Europa“, so Zühlke.
Bis dahin wartet noch einiges an Arbeit auf ihn. Derzeit in Planung ist der nächste Bauabschnitt, ein Gebäude mit 2.500 Quadratmetern Nutzfläche: Haus A. „Das ist ein Gebäude mit mehreren Teilen, die in einem Ritt ausgebaut werden sollen“, erläutert Zühlke. Zugleich sollen hier zentrale Bestandteile des Gesamtkonzepts umgesetzt werden – ein großer Veranstaltungsraum ebenso wie eine Cafeteria. Letztere soll in einem überwiegend aus Holz bestehenden Anbau untergebracht werden, der zugleich die Schüffnerstraße mit dem etwas tiefergelegenen Hof verbindet – eine der neuen Brücken, die die abgeschlossenen Höfe mit den angrenzenden Wohnquartieren verknüpfen. „Bisher haben rund um Haus D die ersten kleineren Abbrucharbeiten stattgefunden. Der eigentliche Baubeginn ist für Ende des Sommers geplant“, so Zühlke.
Ein Ankermieter für die künftigen Räume ist dabei bereits gefunden. Das „Fab Lab Chemnitz“, eine Mitmach-Werkstatt für jedermann, will hier eine neue Heimat finden. „Für alle weiteren Flächen starten wir im 2. Quartal dieses Jahres ein Interessenbekundungsverfahren“, kündigt der Stadtteilmanager an. Insgesamt solle das Jahr 2022 als „Jahr der Aktivierung“ verstanden werden. So sind, insbesondere in den Höfen, mehrere Veranstaltungen geplant. Die 2021 gestarteten Kulturflohmärkte sollen wieder aufgelegt werden. Das neue Festival „Der Rahmen ist Programm“ wird im Kreativhof stattfinden und die „Night of the open Garages“ im Rahmen von „Makers United“ soll ebenfalls hier Station machen. „Vor allem aber wollen wir in echte Beteiligungsverfahren eintreten – das, was in den vergangenen zwei Jahren eher schwierig war“, sagt Zühlke. So wolle man gemeinsam mit Nachbarn und Anliegern die Gestaltung der Hofflächen vorantreiben, beispielsweise mit Urban Gardening-Projekten. Auch das künftige Betreibermodell für den Kreativhof „Die Stadtwirtschaft“ muss noch gefunden werden. „Insgesamt wollen wir 2022 unsere Sichtbarkeit erhöhen – im Stadtraum und als Stadtraum“, fasst Zühlke zusammen.
EIN ANLAUFPUNKT FÜR DIE NACHBARSCHAFT – DER GARAGENCAMPUS IN KAPPEL
Was die konkreten Bauplanungen betrifft, ist der künftige Garagen-Campus im Stadtteil Kappel noch ein Stück weit hinterher. Der ehemalige Betriebshof der Chemnitzer Verkehrsbetriebe CVAG an der Zwickauer Straße, entstanden um 1900 und zuletzt vor allem Heimat für das Chemnitzer Straßenbahnmuseum sowie ein Uhrenmuseum, soll im Rahmen des Kulturhauptstadt-Prozesses zu einem zentralen Kulturstandort umgebaut werden. Im Februar dieses Jahres wurde dafür ein Konzept präsentiert. Es wurde in den vergangenen Monaten durch eine Arbeitsgruppe entwickelt, der unter Leitung der Nossener Agentur Age of Artists unter anderem Mitarbeiter*innen der CVAG, des Straßenbahnmuseums und des Kulturhauptstadt-Büros angehört hatten.
Doch auch zahlreiche Workshops mit Anwohner*innen und weiteren Interessierten haben zur Konzeptbildung beigetragen. „Der Garagen-Campus ist gelebtes Gemeinwohl“, heißt es in einem Manifest. Er schaffe soziale und ökonomische Werte, biete Gastfreundschaft und internationale Kooperationen, werde „Handelsplatz für Ideen, Materialien, Produkte, Werte und Haltungen.“ Was zunächst noch blumig klingt, wird plastischer, wenn man sich die konkreten Nutzungsszenarien für das 30.000 Quadratmeter große Gesamtareal und die sieben historischen Gebäude mit insgesamt 8.000 Quadratmetern Nutzfläche anschaut.
So sollen – eher als Virtuelle Leitbilder denn als konkrete Gebäude – unterschiedlichste Garagen entstehen: So könnte es 2025 eine Europa-Garage geben, in der zum Beispiel 40 Jahre Kulturhauptstadtbewegung gewürdigt werden. Eine Regional-Garage ließe sich als „ständige Vertretung“ der Kulturregion in Chemnitz verstehen, eine Stadtentwicklungs-Garage als Diskussionsplattform für Stadtverwaltung und Bürger*innen. Neben diesen eher territorial ausgerichteten Themen werden mehrere inhaltliche Garagen gedacht, etwa zu den Themenkomplexen Digitalität, Mobilität, Ernährung oder Inklusion. Auch eine „Unabhängigkeits- Garage“ ist angedacht, in der sich – so friedlich war das Wort „Unabhängigkeit“ im Februar noch belegt – Kinder und Jugendliche austoben könnten.
So soll der Garagen-Campus alles in einem werden: Museum und Showroom, offene Eventfläche und Abenteuerspielplatz, Werkstatt und Freizeitpark, Markthalle und Coworking-Space. Und dazu auch wieder Betriebshof der CVAG: Wenn der Chemnitzer Westen per Straßenbahn erschlossen wird, sollte es hier eine Abstellfläche für Trams geben. Bei so vielen unterschiedlichen Nutzungen braucht es identitätsstiftende Landmarks. Zwei hat das Architekturbüro FRIDA-Architekten im Auftrag der Arbeitsgruppe entwickelt – und beide könnten ihren Zweck erfüllen: „Vertical Kappel“ ist eine hohe Holzkonstruktion, die den Eingangsbereich des Garagen-Campus markiert und mit einem weit oben platzierten Straßenbahn-Waggon krönt. Nicht minder spektakulär und zusätzlich noch funktional präsentiert sich die zweite Architekturversion „The Bridge“: Sie verknüpft über mehrere Etagen den hinteren Teil des Areals mit seiner stadträumlichen Umgebung, mit Straßenbahnstrecke und Kleingärten. Auf mehreren Ebenen könnten hier in einer Aquaponik-Anlage Lebensmittel angebaut werden.
Für die Umsetzung des Gesamtkonzepts, so schätzt es Tina Winkel, Projektleiterin von der Agentur Age of Artists, ein, werde es wohl länger als bis 2025 brauchen, womöglich bis zu zehn Jahre. Die Arbeitsgruppe denkt deswegen in Jahresscheiben und Bauabschnitten, die Stück für Stück abgearbeitet werden müssten. Das Jahr 2022 stehe im Zeichen von Kauf- und Mietverhandlungen und der Mittelbeschaffung. Auch ein Betreibermodell muss entwickelt werden. Die CVAG als derzeitiger Haupteigentümer des Areals sieht sich nicht in dieser Rolle, eher müsste die Stadt die Hand drüberhalten, wie David Joram, Prokurist des Verkehrsbetriebs während der Konzeptpräsentation erklärte. Dessen ungeachtet sei ein Bauantrag für einen ersten Bauabschnitt des Garagen-Campus eingereicht. Mit der Zustimmung der städtischen Ämter rechnet Tina Winkel noch in diesem Jahr: „Damit wird zunächst eine der Garagen baulich gesichert und ein Rückbau des Verwaltungsflügels vorangetrieben.“ Weitere Mittel würden dann für 2023 beantragt.
„In den nächsten Monaten wollen wir vor allen Dingen die unterschiedlichen Nutzungsideen konkretisieren“, sagt Tina Winkel. Dafür müssen unterschiedliche Ideengeber*innen miteinander vernetzt, konkrete Mitstreiter*innen und auch Investor*innen gefunden werden. „Deshalb werden wir im Frühjahr noch einmal Informations- und Vernetzungstreffen durchführen“, kündigt die Projektleiterin an. In der „Night of the open Garage“ im Rahmen der „Makers United“ wird es darüber hinaus auch für die Öffentlichkeit möglich sein, das Areal näher kennenzulernen.