Früher war es das Neunerlei, heute verspeisen wir Hirschkeule und Tofusteak. Traditionen wandeln sich, ebenso der Umgang mit Tierwohl, Haltungsformen und der eigenen Gesundheit. Deutschlandweit nimmt der Fleischverbrauch pro Kopf beständig ab. Doch welche Trends und Hoffnungen gibt es, einen gesunden Braten ohne Tierleid auf den Teller zu bekommen?
Geschenke, Familie und Weihnachtsbraten – für viele Menschen gehören diese drei Komponenten fest ins Weihnachtsrepertoire, wie auch schon für ihre Großeltern und Urgroßeltern. Welche Geschenke unter den Baum kommen, wer wann Teil von welcher Familienrunde ist und welches Tier in die Ofenröhre kommt, da besteht großer Handlungsspielraum – und wer für die Familie das Weihnachtsessen zubereiten muss, kreiert heute auch gern mal gleich mehrere Gerichte für jede Mahlzeit: für die Tochter ohne Fleisch, für den Schwiegersohn ohne Gluten oder Milchprodukte, für Onkel Alfred wird der Rotwein in der Soße durch Mehlschwitze ersetzt und die Oma bekommt das Gemüse besonders weich gekocht. Auch eine Form von Neunerlei.
In punkto Fleisch geht der Trend in die Richtung, dass Menschen die Herkunft des Bratens stärker hinterfragen und ihr Weihnachtsessen möglichst ethisch gestalten wollen. Wie die Chemnitzer Fleischermeisterin Nora Seitz erklärt, liegt das nicht nur am gestiegenen Bewusstsein für Umwelt und Tierwohl, sondern auch am Gesundheitsempfinden der Konsument*innen. „Probleme beim Fleisch werden sofort zum medialen Problem“, sagt sie. In den vergangenen Jahren ging es um Tierseuchen, um Keime in abgepacktem Fleisch oder auch um die Arbeits- und Hygienebedingungen großen Fleischbetrieben. „Das fällt auf die ganze Branche zurück“, so Seitz.
Und das, obwohl die Probleme meist in der Fleischindustrie und Massentierhaltung entstehen. Das Fleischerhandwerk, welches Nora Seitz als Landesinnungsmeisterin des sächsischen Fleischerinnungsverbandes vertritt, will dem Negativimage der Branche widersprechen. In der Familienfleischerei in Chemnitz etwa, in der Nora Seitz arbeitet, kommt kein industriell produziertes Fleisch in die Auslage.
Handwerk statt Massenproduktion
Bei jeder Wurst, jedem Hühnerschenkel und jedem Filetstück in ihrem Laden kennt Nora Seitz die Herkunft des Tieres und kann auch über die Haltungsbedingungen Auskunft geben. Das sei ihr, die in der Fleischerei ihrer Familie auf dem Chemnitzer Sonnenberg tätig ist, wichtig, sagt sie – aber auch ihren Kund*innen. „Die Endverbraucher fragen bei uns extrem viel nach. Vor allem bei jungen Familien ist das zu beobachten“, so Seitz. Die Auskunft über Produktionsprozesse, ja sogar über das Wachstum der jeweils verarbeiteten Tiere, mache das Handwerk aus. Ihr Geflügel etwa bezieht Nora Seitz von einem Geflügelzüchter aus dem sächsischen Dippoldiswalde. Wie sie erzählt, halte er sie etwa über die Aufzucht künftiger Weihnachtsbraten regelmäßig auf dem Laufenden, setzt auf Transparenz.
Die Nähe des Betriebes zur Verkaufsstelle ist der Fleischerin wichtig, auch, dass das Geflügel vor Ort geschlachtet wird. Ganz regional beziehen könne sie ihr Fleisch aber nicht. „Wenn ich Fleisch kaufe, dann will ich, dass das Tier bis zuletzt gut behandelt wurde“, sagt Nora Seitz. Und dazu gehört ihrer Ansicht nach auch, dass den Tieren ein Lebendtransport erspart bleibt. Da Sachsen aber keinen eigenen Schlachthof mehr hat und gerade Schweine und Rinder dort geschlachtet werden, lässt sich dies nicht mehr bewerkstelligen. Sie bezieht also rotes Fleisch aus Höfen in Westdeutschland, welches nach ihren Maßstäben produziert werden kann – und hofft gleichzeitig, dass in Sachsen in den kommenden Jahren wieder ein Schlachthof öffnet, um auch regionales Fleisch beziehen zu können – auch, um den ökologischen Fußabdruck des Fleischs zu verkleinern. Dies lässt sich auch mit einem Wandel im Konsumverhalten bewerkstelligen. Sie plädiert für Klasse statt Masse, was sich jedoch auch im Preis niederschlage. „Ich selbst sage meiner Kundschaft immer wieder: Es muss nicht immer Fleisch sein. Ich selbst esse auch nicht jeden Tag welches“, erklärt die Fleischermeisterin.
Der Bratentipp von Nora Seitz: Nose to tail
Es muss nicht immer Filet sein, sagt Nora Seitz. Ein Ansatz ist es, nach dem Motto „From Nose to Tail“, also von der Nase zum Schwanz, möglichst das ganze Tier zu verwerten. Aromatische Fleischstücke, die wunderbare Braten abgeben, sind ihrer Meinung nach etwa Rinderbäckchen.
Nora Seitz, Fleischermeisterin
Frisch vom Wald auf den Teller
Gänse, Schweine und Rinder werden von Zuchtbetrieben bewusst produziert, das Fleischangebot in der Weihnachtszeit und auch sonst im Jahresverlauf ist planbar. Bei Wildfleisch gelten andere Regeln. Bestellungen für Hirschkeulen und Wildbraten können daher in der Fleischerei von Konrad Gessner nicht vorab aufgegeben werden. „Ob man das Wild auch wirklich erlegt, ist fraglich“, sagt er aus eigener Erfahrung: Einen Teil des Fleischs, das er verkauft, jagen er und mehrere Familienmitglieder selbst in den Wäldern nahe dem Chemnitzer Ortsteil Grüna. Doch die Tiere sind flink und lassen sich nicht immer leicht schießen.
Auch die Menge an Fleisch, die erlegt werden kann und darf, ist endlich. Wie Konrad Geßner erklärt, sei das Gefüge in Wäldern sehr sensibel, stets könne nur eine gewisse Anzahl an Tieren geschossen werden. Würden Jäger*innen mehr Wild entnehmen, so könnten sie dem Wildbestand nachhaltig schaden, weil weniger nachwächst. Andererseits muss auch eine bestimmte Menge an Tieren erlegt werden, damit diese durch zu rasantes Wachstum nicht umgekehrt dem Waldgefüge Schaden zufügen. Ein komplexes Feld – aber der Bedarf an Wildfleisch steige, sagt Konrad Geßner. Seiner Ansicht nach liegt das an einem wachsenden Bewusstsein für Ernährung und Gesundheit, aber auch für die Herkunft von Tieren. Schließlich komme Wildfleisch eben nicht aus Stallhaltung, die Tiere lebten frei im Wald – und das Fleisch sei recht gesund und frei von Medikamenten wie Antibiotika.
„Jedes Stück Wild wird vor dem Verkauf veterinärmedizinisch untersucht“, erklärt der Jäger. So könne etwa ausgeschlossen werden, dass sich im Fleisch vom Wildschwein Trichinen befinden. Selbst Tiere, die mit der sogenannten Schweinepest infiziert seien, könnten Menschen bedenkenlos essen. Zudem gibt es auch bei Wildfleisch Kontrollmarken, etwa „Wild aus Sachsen“. Damit wird sichergestellt, dass das angebotene Fleisch auch wirklich aus der Region stammt und auf der Jagd erlegt wurde – und nicht etwa in einem Wildgatter. Den Kund*innen ist die Transparenz über die Herkunft wichtig, was sich auch auf die Vermarktung auswirkt. „Früher konnte man Wildfleisch nur über einen bekannten Jäger bekommen, heute finden sich Informationen über Händler und Qualität im Internet“, sagt Konrad Geßner. Dies befeuere den Trend zum Wild.
Ein weiterer Vorteil ist der Preis. „Sie bekommen ein Stück Wild auch an Weihnachten noch vergleichsweise günstig – etwa im Vergleich zu Biofleisch“, sagt der Jäger. Generell rät er aber dazu, schon früher vorzusorgen. Die Preise von Wildfleisch unterliegen starken Schwankungen und orientieren sich am Angebot. Daher lohne es sich durchaus, schon vor Weihnachten ab und an Wildverkaufsposten in der Region zu frequentieren und sich so ein preiswerteres Stück Braten zu ergattern. Geßner selbst hält für die Weihnachtszeit in seinem Lager einige Fleischstücke vor – das könnten Kund*innen ebenso gut in der heimischen Tiefkühltruhe tun. Das Vorurteil, Wild sei schwer zuzubereiten, räumt Konrad Geßner übrigens aus: „Wir verkaufen das Fleisch bratfertig. Man muss nicht enthäuten, die Knochen sind – wenn nicht anders gewünscht – auch schon raus“, sagt er.
Schmorrippchen vom Wildschwein
So ziemlich alle Gerichte, für die es Fleisch braucht, lassen sich laut Konrad Geßner auch mit Wildfleisch zubereiten. Es sei etwas intensiver im Geschmack, eigne sich aber hervorragend. Sein Tipp: Schmorrippchen vom Wildschwein. „Das ist nicht alltäglich – aber sehr lecker und vor allem preiswert“, sagt der Jäger und Fleischverkäufer.
Konrad Geßner, Jäger und Fleischverkäufer
Ganz ohne Fleisch: Regionales Tofu
Gebratener Bohnenquark als Bratenstück auf der Weihnachtstafel? Für Julia Jeschek selbst wäre das vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen. Ein Besuch in Japan stimmte sie um: Dort kam die Chemnitzerin das erste Mal mit vor Ort hergestelltem Tofu in Berührung. „In Japan gibt es an jeder Ecke Tofuläden – wie bei uns Bäckereien. Sie stellen den Tofu jeweils ganz frisch her“, erzählt sie.
Jeschek kam auf den Geschmack, erkannte, dass es diese Art von Tofu bislang in der Region Südwestsachsen noch nicht gibt und beschloss, ihn selbst herzustellen. Die gelernte Grafikerin schloss sich mit einer Freundin zusammen und gemeinsam machten sie sich ans Ausprobieren. Eine Ausbildung braucht es in Deutschland nicht, um Tofu herzustellen, abgesehen von den für die Lebensmittelherstellung üblichen Scheinen und Regularien. Schnell entschieden sie sich, deutsche Sojabohnen zu verwenden. „Theoretisch würden die auch in Sachsen wachsen. Die Sojabohnen pflegen sogar den Boden, da sie ihm Stickstoff zuführen“, sagt Julia Jeschek. Allerdings seien die Bauern in Sachsen noch im Experimentierstadium, daher bezieht sie den Bohnenrohstoff für ihre „Tofubar“ bislang von Landwirtschaftsbetrieben in Bayern. Die so bezogenen Bohnen werden in der „Tofubar“ gesalzen, gewässert, gepresst und geräuchert – je nach Rezept. Das Ergebnis: herzhafte und cremige Tofustücke, die pur, aber auch mariniert verkauft werden.
„Wir wollen keinen Fleischersatz und kein ‚das schmeckt wie…‘ erzeugen“, sagt Julia Jeschek. Ihr Tofu sei etwas Eigenes und stünde für sich, um Mahlzeiten zu bereichern. Dass es sich dabei um einen wachsenden Trend handelt, erkennt sie, wie sie sagt, nicht nur an der Nachfrage nach den eigenen Produkten, sondern auch an der steigenden Zahl von Marken und Angeboten, etwa in Supermärkten. Jeschek und ihre Kollegin produzieren ihren Tofu derzeit in der Küche des Restaurants „Laurus Vital“ in Hartmannsdorf, welches pandemiebedingt geschlossen ist, und sind nun auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten mit Küche und Verkaufsfläche in Chemnitz. sah
Julia Jescheks Braten-Tipp: Tofu in Pfeffersoße
Tofu lässt sich vielseitig marinieren und würzen, sagt Julia Jeschek. Ihr Rat: Wenn etwas Säure zur Würze gegeben wird, etwa in Form von Reisessig, nimmt der Tofu den Geschmack besser auf. Für die Weihnachtszeit kreierte sie eine besondere Pfeffersoße, in die sie Tofuscheiben einlegt. Das Gericht wird etwa in den Chemnitzer Unverpacktläden und im Biomarkt an der Leipziger Straße verkauft.
Julia Jeschek, Tofu-Produzentin
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