Exakt 16.468 Tassen Kaffee ließen die Maschinen in den Teeküchen der Chemnitzer Software-Firma Baselabs im Jahr 2019 für Mitarbeiter*innen und Gäste des Unternehmens fließen. Ein Jahr später wurden die Kaffeemaschinen auf Kurzarbeit gesetzt: Nur mehr 45 Prozent der Vorjahresarbeit durften sie leisten – 7.508 Tassen. 2021 verbesserte sich die Situation unwesentlich auf 7.870 Tassen. Und bis heute durften die Kaffeemaschinen nicht in den Normalmodus zurückkehren. Was sie zur partiellen Untätigkeit zwingt, ist das Home-Office (und in 2020 auch zwischenzeitliche Kurzarbeit bei den menschlichen Mitarbeiter*innen des Unternehmens). Fürwahr: Corona hat die Arbeitswelt verändert.
Zahlen wie den Jahres-Kaffee-Verbrauch kennt Laura Herrmann, die Leiterin Employee Services bei der Baselabs GmbH. Vor sechs Jahren stieg sie als Werksstudentin im Unternehmen ein, das 2012 aus der TU Chemnitz ausgegründet wurde. 18 Mitarbeiter*innen zählte Baselabs damals, heute sind es knapp 50 – und die heute 32-jährige Herrmann sorgt dafür, dass es ihnen so gut wie möglich geht. „Corona hat arbeitstechnisch natürlich einen riesigen Unterschied ausgemacht“, erklärt sie gleich zu Beginn des Gesprächs. „Unser Ziel war es – nach Maßgabe der Politik – Kontakte so weit wie möglich zu reduzieren. Und so hat der Managementkreis an einem Donnerstag im März 2020 entschieden, dass wir konsequent ins Home-Office gehen.“
Zuvor war diese Form der Arbeit nicht wirklich üblich, obwohl es sich bei Baselabs um eine IT-Firma handelt – das Unternehmen entwickelt Softwareprodukte rund ums sichere automatisierte Fahren, mit denen Sensordaten aus Fahrzeugen in zuverlässige automatische Fahrentscheidungen überführt werden können. Vieles im täglichen Schaffen ist Arbeit am Rechner, die theoretisch von jedem Ort der Welt aus ausgeführt werden kann: „Schon vor der Pandemie räumte unser Standard-Arbeitsvertrag den Beschäftigten einen Tag Home-Office pro Woche ein. Doch davon wurde nur in seltenen Ausnahmefällen Gebrauch gemacht, wenn man mal einen Handwerker erwartete“, erzählt Herrmann: „Auf dauerhaftes Home-Office war aber beispielsweise unsere Meeting-Kultur gar nicht vorbereitet.“
Zeit, dass sich was dreht
Und dann also die totale Umstellung: „Wir hatten den Vorteil, dass alle Mitarbeiter schon einen Laptop hatten und wir auch intern bereits mit Werkzeugen für die Remote-Arbeit ausgestattet waren. Es gab Collaborationswerkzeuge und Cloudlösungen, die wir vorher genutzt haben und die sich in der neuen Situation als nützlich erwiesen haben.“ Die Mitarbeiter*innen seien offenherzig an die Umstellung herangegangen – und auch die Chefs taten sich nicht schwer: „Grundsätzlich hat unsere Unternehmensführung ein positives, von Vertrauen geprägtes Mitarbeiter-Verständnis: Wir gehen davon aus, dass jeder erst einmal arbeitswillig, motiviert und mündig ist.“
„Menschen mit einem kooperativen Führungsstil fällt es leichter, Mitarbeiter*innen ins Home-Office zu entlassen. Hierarchisch orientierte Führungskräfte tun sich da schwerer, weil sie ein Stück weit Kontrolle abgeben“, hat Matthias Siegert beobachtet. Er ist Leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit bei der AOK PLUS - Die Gesundheitskasse für Sachsen und Thüringen und damit im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes zuständig für 7.500 Mitarbeiter*innen der Gesundheitskasse. Wichtig sei es aber – und dabei verweist Siegert auf Hinweise der Gesetzlichen Unfallversicherung VBG – gewisse Regeln einzuhalten: So sei Sinnstiftung für Mitarbeiter*innen im Home-Office noch einmal wichtiger, als wenn man sich täglich begegne. Führungskräfte sollten zuhören, welche Infrastruktur ihre Angestellten wirklich benötigten und ihnen nach Möglichkeit unter die Arme greifen. Und auch gewohnte Rituale sollten im Home-Office – gegebenenfalls mit anderen Mitteln – fortgeführt werden. Diese gäben auch auf die Ferne Sicherheit.
Es gibt Mitarbeiter, die habe ich seit Pandemiebeginn nicht mehr persönlich getroffen.
Laura Herrmann, Leiterin Employee Services der Baselabs GmbH
Bei Baselabs wurde auch während der Pandemie die etablierte Tradition der zweimonatlichen Betriebsversammlungen konsequent fortgeführt – wenn es sein musste, eben online. Daneben hätten sich in der Hochphase der Remote-Arbeit viele informelle Treffen etabliert – Lunchdates etwa oder auch gemeinsamer Sport vor dem Computer. Gearbeitet wurde natürlich auch: „Aber wir haben gemerkt, dass sich bei uns die Arbeitszeiten teilweise verschoben haben. Das lag zumeist an der familiären Situation der einzelnen Mitarbeiter. So haben sich in unseren verschiedenen Teams ganz unterschiedliche Arbeitsmodi entwickelt. Aber es ist schon eine Herausforderung, wenn eine Führungskraft nur noch abends erreichbar ist, weil sie tagsüber das Homeschooling der Kinder betreuen muss“, berichtet Laura Herrmann.
Die Zeiterfassung erfolgte bei Baselabs bereits länger auf Vertrauensbasis, das habe sich auch durch die Pandemie nicht geändert – und demnächst will Baselabs den Versuch starten, mit Arbeitszeitkorridoren zu agieren. „Was aber vor, während und auch nach Corona galt und gilt: Zu geplanten Meetings müssen alle Eingeladenen anwesend sein“, nennt Herrmann eine der Baselabs-Regeln.
Bleibt alles anders
Mit dem Ablauf der staatlich verordneten Home-Office-Pflicht zum 30. März 2022 hat sich die Situation erneut geändert: „Es ist aber nicht so, dass nun alle wieder ins Büro zurückgekehrt sind“, sagt die Baselabs-Personalchefin: „Im Schnitt sind aktuell etwa 40 Prozent der Mitarbeiter da. Viele teilen sich die Arbeit auf – mit drei Büro- und zwei Home-Tagen oder umgekehrt.“ Die Bandbreite der neuen Arbeitszeitmodelle sei aber groß: „Es gibt auch Leute, die jeden Tag ins Büro kommen – und solche, die ich seit Pandemiebeginn nicht mehr persönlich getroffen habe.“
„Das Home-Office hat sich eingebürgert“, stellt auch AOK-Mann Matthias Siegert fest: „Viele Arbeitnehmer*innen wollen dabei bleiben.“ In Home-Office-Modellen sieht er jede Menge Potenzial: Nicht nur, dass statistisch nachweisbar die Zahl der Wegeunfälle zurückgehe – schließlich gibt es weniger Wege zur Arbeit. Zudem könnten die Mitarbeiter*innen Wegezeiten einsparen, Home-Office schone damit Ressourcen und sei so auch gut fürs Klima. Und nicht zuletzt stärke es die Arbeitgeber-Attraktivität – schließlich würden die Mitarbeitenden in den meisten Fällen flexibler in der Gestaltung ihrer Arbeitszeit und der Ausübung ihrer Arbeit. „Ich gehe davon aus, dass sich in spätestens fünf bis zehn Jahren hybride Modelle etabliert haben werden.“
Bei Baselabs werden aktuell die Standard-Arbeitsverträge erweitert – um Ergänzungen zum Mobilen Arbeiten oder mit der Option zum Home-Office. Die Geschäftsführung steht solchen Modellen offen gegenüber. In der Belegschaft hingegen ist eine Diskussion über Pflichtpräsenztage ausgebrochen, wie Laura Herrmann weiß: Vor allem die Teamleiter*innen seien dafür, ihnen würde durch die persönliche Nähe die Arbeit erleichtert. Sie als Personalleiter*in ist ein wenig hinund hergerissen: „Ich persönlich schätze die Flexibilität des Home-Office, weil es mir die Organisation des Privatlebens erleichtert“, sagt sie. „In meiner Position merke ich, dass es mir schwerer fällt zu beobachten, was die Menschen im Unternehmen umtreibt. Wo ich früher die Kaffeepause oder das Mittagessen nutzen konnte, mal in die Belegschaft hineinzuhören, fehlen mir solche Gelegenheiten heute. Da muss ich andere Instrumente finden.“ Sie will dafür sorgen, dass die Mitarbeitenden auch gern ins Büro kommen – mit gemeinsamen Erlebnissen wie dem Feiern des World Cocktail Day und regelmäßigen Grill-Events zum Beispiel.
Denn die unterschiedlichen Präsenzzeiten beeinflussen das soziale Gefüge im Unternehmen, nimmt Laura Herrmann wahr. Wer sich öfter live sieht, steht auch stärker miteinander in Kontakt. Und es entstehen ganz neue Diskussionen, beispielsweise über die Sitzordnung in den Büros: Braucht hier noch jeder Mitarbeitende einen eigenen Arbeitsplatz? Genügen für Teilzeit-Büroarbeiter Coworking-Plätze? Oder geht damit der letzte Halt an das Gemeinsam-in-einem-Raum-Gefühl verloren? „Ich habe kürzlich zu einem Workshop ‚Bürokonzept‘ eingeladen – und die Hälfte der Mitarbeitenden will mitmachen. Dass diese Frage so viele bewegt, hat mich schon etwas überrascht“, sagt Herrmann. vtz
Stichwort Home-Office - das sagt der Arbeitsschutz
Unter Home-Office versteht man das tageweise Arbeiten im eigenen Zuhause. Der Gesetzgeber schreibt vor, dass hier arbeitsplatzähnliche Bedingungen herrschen sollen. Zur Grundausstattung sollten deshalb ein Bürodrehstuhl, ein Schreibtisch, ausreichend Licht und ein Computer mit großem Bildschirm, Maus und eigener Tastatur gehören – Laptop-Arbeit wird nicht empfohlen. Wer diese Ausstattung bezahlen muss, ist nicht festgelegt, erklärt Matthias Siegert, Leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit bei der AOK PLUS: „Weil der Arbeitgeber ein Interesse an der Gesunderhaltung seiner Mitarbeitenden haben sollte, ist empfehlenswert, dass er die Ausstattung besorgt.“ Auch der Datenschutz und die zum Arbeiten nötige Ruhe muss im Home-Office sichergestellt sein.
In jedem Fall muss der Arbeitgeber laut Arbeitsschutzgesetz für die Arbeit im Home-Office eine Gefährdungsbeurteilung durchführen – und das ab dem ersten Mitarbeiter: „Die Vorgesetzten können sich Fotos oder Videos vom Arbeitsraum zeigen lassen oder auch verabreden, beim Mitarbeiter zuhause vorbeizuschauen.“ Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung bietet eine Checkliste für ergonomisches Arbeiten – diese kann auch für die Bewertung der Arbeitssicherheit im Home-Office herangezogen werden, so Siegert: „In jedem Fall ist es für Unternehmen erforderlich, die Gefährdungsbeurteilung zu dokumentieren. Unternehmen können aus der Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeitenden heraus einen Wunsch nach Home-Office-Arbeit auch ablehnen, wenn sie aus Gründen des Gesundheitsschutzes Bedenken haben.
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