INTERVIEW MIT ANDREA PIER, KAUFMÄNNISCHE GESCHÄFTSFÜHRERIN DER CHEMNITZ KULTURHAUPTSTADT EUROPAS 2025 GMBH
Seit Herbst 2022 ist Andrea Pier kaufmännische Geschäftsführerin der Chemnitz Kulturhauptstadt Europas 2025 GmbH und verantwortet damit – gemeinsam mit Programmgeschäftsführer Stefan Schmidtke – die Vorbereitung des Kulturhauptstadt-Jahres. Chemnitz Inside traf sie zum Gespräch über den aktuellen Planungsstand und die Herausforderungen und Chancen des Titels.
Frau Pier, lassen Sie uns ganz plakativ einsteigen: Wie teuer wird das Kulturhauptstadt- Jahr?
Das lässt sich so plakativ kaum beziffern. Da stellt sich zunächst die Frage: Was rechnet man alles hinein? Wir sind die Organisation, in deren Verantwortung „nur“ die Umsetzung des Programms liegt. Da werden wir um die 20 Millionen Euro ausgeben. Hinzu kommt ein investiver Teil, der bei der Stadt liegt. Das sind für die Interventionsflächen 30 Millionen Euro aus städtischen Mitteln und zusätzlich 30 Millionen Euro an weiteren Förderungen. Was wir jetzt schon beobachten: Als Kandidat sind die anfangs in der Bewerbung eingestellten Förderungen von Stadt, Land, Bund und EU ein Grundstock. Wenn man dann Kulturhauptstadt wird, laufen alle beteiligten Akteure los und akquirieren zusätzliche Mittel, im Wesentlichen im investiven Bereich, aber auch für das Programm. Am Ende werden wohl weit über 100 Millionen Euro hier in der Stadt landen.
Mitte November entschied der Stadtrat die Umwandlung der Rechtsform der Kulturhauptstadt-Gesellschaft von einer GmbH in eine gemeinnützige GmbH. Was bringt das bei der Umsetzung der Aktivitäten?
Wir haben die Umwandlung aus drei Gründen angestrebt: Zum einen können wir als GmbH keine Spenden annehmen. Es gibt Menschen, die wollen Geld spenden ohne Gegenleistung– das geht ohne die Gemeinnützigkeit nicht. Des Weiteren wollen auch wir als Unternehmen Förderungen aus verschiedensten Töpfen in Deutschland oder Europa beantragen – in einer GmbH-Struktur ist man davon aber oft direkt ausgeschlossen. Und zum Dritten geht es ums Freiwilligenprogramm: Wir werden eine große Zahl Freiwilliger haben. Da wird die allermeiste Arbeit ehrenamtlich erfolgen, aber wir wollen uns doch die Möglichkeit schaffen, wie in Vereinen so etwas wie Übungsleiterpauschalen auszahlen zu können. Zu guter Letzt werden wir möglicherweise eine differenzierte Behandlung der Mehrwersteuer in einigen Bereichen haben, aber das wird sich in der Praxis erweisen. Das war nicht unser Hauptaugenmerk.
Kurz nach Gründung der GmbH wurde in der Stadt darüber geredet, dass der Gesellschaft Millionen fehlen, weil bei der Bewerbung Brutto- und Nettobeträge nicht ausreichend unterschieden wurden. Löst sich dieses Problem durch die Umwandlung auch?
Nein, das ändert sich nicht. Da wir ein eigenes Unternehmen sind und uns in einem Leistungsaustausch mit der Stadt befinden, müssen wir von den Fördergeldern, die wir von der Stadt erhalten, 19 Prozent Mehrwertsteuer abführen. Das ist gängiges Recht.
Angesichts solcher Wirrungen: Haben Sie schon bedauert, dass Sie aus der Privatwirtschaft in dieses öffentliche Projekt gewechselt sind?
(Lacht.) Nein, natürlich nicht. Ich habe das ganz bewusst gemacht. Es war Corona, ich war 20 Jahre bei der Stage Entertainment, einem der weltweit größten Musical-Produzenten, und ich bin 50 geworden. Da wollte ich noch einmal etwas anderes machen. Meine ganze Familie arbeitet im Bereich Stadttheater, ich bin da groß geworden und durch Zufall beim Musical gelandet. Es war eine bewusste Entscheidung, aus der Branche rauszugehen, die ich nicht bedauere, obwohl ich mit großer Lust dabei war. Ich bin manchmal verblüfft über bestimmte verwaltungstechnische Vorgänge, auch über die Bürokratie im Umgang mit öffentlichen Fördergeldern. Ich verstehe das natürlich: Wenn man mit öffentlichem Geld arbeitet, muss man besonders verantwortlich damit umgehen. Aber ich kann sagen: Schneller wird man dadurch nicht. Kulturhauptstadt Europas zu sein, ist ein sehr agiles Projekt, das ein klares kurzfristiges Ziel hat und sich nach 2025 wieder rückabwickelt – da beißt sich das manchmal etwas. Aber wir finden für alles Wege.
„Kulturhauptstadt Europas zu sein, ist ein sehr agiles Projekt, das ein klares kurzfristiges Ziel hat und sich nach 2025 wieder rückabwickelt.“
Andrea Pier, Kaufmännische Geschäftsftführerin
Hinter Ihnen liegt ein langer Prozess, in dem die Projektideen des Bidbooks auf Umsetzbarkeit geprüft wurden. Gab es Projekte, die aus finanziellen Erwägungen abgesagt werden mussten?
Von den ursprünglich über 70 Projekten, die im Bewerbungsbuch, dem Bidbook II, beschrieben werden, fielen Projekte heraus, wo die geplanten Partner aus der Zeit der Kandidatur schon nicht mehr aktiv waren oder aus anderen Gründen von vornherein gesagt haben, dass sie kein Projekt umsetzen können. So sind wir mit etwa 60 Projekten in die Entwicklung gestartet. Von denen finden wohl nahezu alle statt. Es gibt vier oder fünf, bei denen die Finanzierung noch nicht final geklärt ist. Das heißt aber nicht, dass diese Projekte abgesagt sind, sondern dass die Finanzierung noch gesichert werden muss.
Laut Bidbook sind 5,5 Millionen Euro Einnahmen aus dem privaten Sektor geplant. Wird diese Summe erreicht?
Diese Summe setzt sich aus verschiedenen Bereichen zusammen – Einnahmen aus weiteren öffentlichen Fördertöpfen, von Stiftungen oder durch EU-Projekte. Ticket-Einnahmen sind bei einer Bewerbung wie der von Chemnitz fast nicht existent, weil die allermeisten Projekte auf Teilhabe setzen und – wie unsere Hauptprojekte – ohne Eintritt besucht werden können. Zudem haben wir ein Sponsoren-Programm entwickelt, das auch Sach- und Dienstleistungen einschließt. Wir sind da gut unterwegs, ob wir die 5,5 Millionen erreichen, das werden wir sehen. Wir sind hier in Chemnitz oder Sachsen, nicht in einer Umgebung wie die Kulturhauptstadt 2010, Essen und das Ruhrgebiet, wo die ganze Großindustrie nebendran lag. Aber wir haben auch noch ein wenig Zeit. Erfahrungsgemäß steigt das Interesse der Sponsoren, je näher das Veranstaltungsjahr kommt, weil dann immer stärker sichtbar wird, welche Strahlkraft der Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ hat. Wir sind mit sehr vielen Firmen in Kontakt und bewegen uns dafür auch außerhalb Sachsens. Die Resonanz ist sehr positiv.
Der KLUB2025 als Bindeglied zur regionalen Wirtschaft hat sich aufgelöst. Ihm war im Bidbook die Aufgabe zugeordnet, größere Sponsoringsummen aufzubringen – diese Aufgabe übernimmt jetzt die GmbH?
Wir haben eine Abteilung im Haus, die den Kontakt zur Wirtschaft pflegt, wir sind auf vielen Veranstaltungen, wo wir uns präsentieren und netzwerken. Inzwischen sind wir mit einigen Unternehmen im Gespräch, bei denen es teils um sechsstellige Sponsoringbeiträge geht. Mit Sachsenlotto haben wir im November einen ersten Partner präsentiert, der aktuell den Makers-Advent unterstützt und sein Engagement, wie wir hoffen, auch 2024 und 2025 fortsetzt.
Auf welche Weise kann man sich als Unternehmen einbringen in die Kulturhauptstadt?
Ganz klassisch als Sponsor, indem man Summe X einbringt und dafür eine Sichtbarkeit im Rahmen der Kommunikation von Chemnitz 2025 erhält. Sach- und Dienstleistungen sind ebenso möglich. Manche Unternehmen stellen uns beispielsweise Werbeflächen zur Verfügung – einige übernehmen auch gleich noch die Kosten für die Bespielung. Umso näher das Titeljahr rückt, desto mehr werden wir die Marketing-Aktivitäten lokal, deutschlandweit und auch international verstärken und die Sichtbarkeit Schritt für Schritt erhöhen. Ein Meilenstein der Kommunikation im kommenden Jahr ist beispielsweise der Januar, wenn der Countdown für die letzten 365 Tage bis zum Titeljahr beginnt. Auch für unser Freiwilligen-Programm werden wir ab dem Frühsommer kräftig die Werbetrommel rühren und Sponsoren suchen, die uns beispielsweise bei der Ausstattung der Volunteers unterstützen.
Die Sparkasse Chemnitz hat angekündigt, eine Million Euro für ihre eigenen Kulturhauptstadt-Aktivitäten auszugeben. Wie sehr blutet das Herz der kaufmännischen Leiterin, dass dieses Geld nicht zumindest teilweise als Sponsoring in den GmbH-Topf fließt?
Natürlich hätte ich das Geld auch gern zur Verfügung. Ich finde aber auch gut, dass sich die Sparkasse mit eigenem Programm, wie beispielsweise dem Sparkassen-Marathon, aktiv einbringt, denn es geht ja ums Selbermachen. Am Ende macht das von uns verantwortete Hauptprogramm 2025 vielleicht 30 Prozent des Gesamt-Veranstaltungsprogramms aus – und es wird daneben jede Menge Events geben, mit deren Inhalt oder Finanzierung die Chemnitz 2025 GmbH nichts zu tun hat und die trotzdem wichtig sind für das Gesamtprojekt Europäische Kulturhauptstadt. Ein solches Beispiel ist auch das Lichterfestival „Light Our Vision“, das Linda Hüttner, Claudia Fischer und die Architektenkammer zum ersten Mal in Eigeninitiative sehr erfolgreich umgesetzt haben. Das finden wir super!
Werden solche Veranstaltungen dann in irgendeiner Form das Label „Kulturhauptstadt“ tragen dürfen?
Erst einmal: Alles, was 2025 in Chemnitz und der Region stattfindet, findet in der Kulturhauptstadt Europas statt. Wenn Gäste aus Hamburg oder Leipzig hier ankommen, werden sie nicht unterscheiden, ob eine Veranstaltung ein kommerzielles Angebot in der Stadthalle ist, eine Initiative eines Vereins oder ein Projekt aus dem Kulturhauptstadt- Bewerbungsbuch. Trotzdem sind wir gegenüber der Europäischen Kommission verpflichtet zu zeigen, dass wir in Chemnitz und der Region ein Programm gemäß der Bewerbung umsetzen, denn genau dafür wurde der Titel vergeben. Deshalb wird es ein Chemnitz 2025-Programm geben, das den Kriterien der EU entspricht und mit dem Bewerbungsslogan „C the unseen“ gelabelt ist. Darüber hinaus werden unzählige weitere Veranstaltungen im Rahmen des Kulturhaupstadt- Jahres stattfinden.
Wie wird der Markenauftritt der Kulturhauptstadt insgesamt sich künftig gestalten?
Wir haben das Logo leicht angepasst, das werden wir aber in Zukunft kaum noch pur verwenden. Stattdessen wollen wir mit einer Reihe von Labeln – etwa für verschiedene Formen von ideeller oder finanzieller Unterstützung oder Kooperationen – arbeiten. Gerade haben wir den Wettbewerb „So schmeckt Kulturregion“ gestartet, wo das Logo klar mit einem Claim verbunden ist, den wir an Produzenten von kulinarischen Produkten und Events vergeben. Zudem werden wir in unserer Programmkommunikation ab 2024 stark mit unserem Motto „C the Unseen!“ arbeiten. Damit erhalten die Projekte, die von der Chemnitz 2025 GmbH produziert und kuratiert werden, einen gut erkennbaren Rahmen.
Wie ist der Plan, Gäste nach Chemnitz einzuladen?
Wir sind schon mittendrin mit einer Reihe von Publikationen, die in Kooperation mit der Kommunikationskampagne des Freistaats „So geht sächsisch“ entstanden sind. Das Heft „Chemnitz Capital“ ist bereits zweimal erschienen und in einer sechsstelligen Auflage als Beilage in großen überregionalen Tageszeitungen bundesweit vertrieben worden. Das Kunstmagazin „Weltkunst“ hat eine Sonderausgabe zu Chemnitz produziert, die überall an den Zeitungskiosken erhältlich ist. Dass die Buchungsplattform booking.com Chemnitz bereits für 2024 zu einem internationalen Trendziel ausgerufen hat, hat uns alle sehr erfreut. Die Außenwirkung findet also schon statt. 2024 werden wir auf vielen touristischen Messen präsent sein. Die beiden größten medialen Aufschläge erfolgen erfahrungsgemäß mit der Bekanntgabe des Programms, das wird im Herbst 2024 stattfinden. Und dann mit der offiziellen Eröffnung des Titeljahres, die wir am 18. Januar 2025 feiern.
Und all dies erfolgt mit einem kontinuierlich wachsenden Team…
Wir sind ein kleines Unternehmen, wir haben ganz klassische Abteilungen wie Buchhaltung oder Controlling, natürlich gibt es ein Programm-Team, eine Kommunikationsabteilung und Kolleg*innen, die sich um die Produktion der Projekte kümmern. Die Personalakquise funktioniert erstaunlich gut, da bin ich aus Berlin und Hamburg anderes gewohnt. Und man darf nicht vergessen: Wir sind ja eigentlich gar kein so attraktiver Arbeitgeber. Wir vergeben nur befristete Verträge, für die meisten Mitarbeitenden ist Ende 2025 wieder Schluss, dann wird wieder abgewickelt. Aber das Projekt „Kulturhauptstadt Europas“ zieht die Menschen an, weil es einfach eine einmalige Gelegenheit ist, ein solches Projekt in einer Stadt und Region mitzugestalten. Und um mit einem Vorurteil aufzuräumen, das uns gelegentlich begegnet: Im Team arbeiten viele Chemnitzerinnen und Chemnitzer, mindestens die Hälfte der Mitarbeitenden stammt aus Chemnitz und der Region. Aber wir haben auch Menschen aus Hamburg, aus Tschechien, aus Polen. Wir sind ein überwiegend weiblich besetztes Team und haben altersmäßig eine gute Bandbreite. Ich glaube, die Mischung stimmt: Wir haben den unbefangenen Blick von außen und die Menschen, die wissen, wie Chemnitz tickt.
Wird das Team 2024 noch weiterwachsen?
Es wächst, vor allem im Bereich Marketing und Kommunikation. Und das Team verändert sich auch, weil die Projektentwicklung an vielen Stellen abgeschlossen ist und wir jetzt in die Produktion, in die Umsetzungsphase gehen, wo andere Skills gebraucht werden. Die Aufgaben, die hier liegen, sind vielfältig und sehr groß und manchmal auch überwältigend. Die müssen wir uns tagtäglich in kleine Portionen zurechtlegen. Und es gibt ja auch kein Handbuch „So geht Kulturhauptstadt“, da müssen wir uns vieles erarbeiten, oft auch im Austausch mit den Kolleg*innen aus aktuellen und ehemaligen Kulturhauptstädten. Das macht die Aufgabe so spannend, so aufregend.
Frau Pier, wir danken für das Gespräch.
Das Gespräch führte Volker Tzschucke.
ZUR PERSON
Andrea Pier, Jahrgang 1969, ist gebürtige Bielefelderin und stammt aus einer Theaterfamilie. Vor ihrer Tätigkeit in Chemnitz war sie mehr als 20 Jahre bei Stage Entertainment beschäftigt, einem der weltweit führenden Unternehmen im Bereich Live Entertainment. Hier wirkte sie zuletzt als Produzentin für die Region Berlin und das Tourgeschäft und als Personalchefin für 1.300 Mitarbeitende. Zudem leitete sie viele Jahre das Berliner Theater des Westens.