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Mehr Beteiligung, weniger Geld: Mit den Bürgerplattformen steht ein wichtiges Instrument der kommunalen Bürgerbeteiligung vor drastischen Sparmaßnahmen

Bürgerbeteiligung gilt als ein Mittel, um Demokratieverdrossenheit zu verringern. Die Idee: Wer selbst etwas umsetzen, wer mitdiskutieren und mitentscheiden darf, wer also Selbstwirksamkeit spürt, wird besser informiert sein. Er wird die Ergebnisse eines demokratischen Abstimmungsprozesses eher akzeptieren und mit seiner Wähler*innenstimme eher nicht zu extremistischen oder populistischen Parteien abwandern.

Obwohl angesichts der Stimmung im Lande eher mehr als weniger Bürgerbeteiligung angesagt wäre, fährt die Stadt Chemnitz die Mitwirkungsrechte seiner Einwohner*innen derzeit zurück. Betroffen sind unter anderem die Bürgerplattformen in den urbanen Stadtteilen.

Acht Bürgerplattformen verteilen sich über das Stadtgebiet von Chemnitz. Im Regelfall ist eine Bürgerplattform für mehrere Stadtteile zuständig. Bei ihrer Einrichtung – seit 2014 sind die Plattformen über die Hauptsatzung der Stadt Chemnitz auf eine rechtliche Grundlage gestellt – war es die Idee, die Einwohner*innen der urbanen Stadtteile in gewissem Maße denen in den ländlichen, oft erst vor 20 oder 25 Jahren zu Chemnitz hinzugekommenen Ortschaften gleichzustellen. Während in ländlichen Ortsteilen Ortschaftsräte gewählt werden können, die in Entscheidungen über wesentliche ortsrelevante Belange mit einbezogen werden, fehlte eine solche Mitwirkung in den originären Stadtteilen. Noch 2020 zählte die Stadtverwaltung die Ausweitung der Bürgerplattformen als Form lokaler Beteiligung „zu den wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre“, um die Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene auszubauen.

Die Bürgerplattformen sind im Regelfall an Bürgerzentren oder ähnlichen Stadtteilzentren angeschlossen, die häufig niedrigschwellige Sozialarbeit anbieten und so für Zusammenhalt im Stadtteil sorgen sollen: Hier gibt’s Computerkurse, Handarbeits- oder Skatrunden, Ausstellungen von Künstler*innen aus dem Stadtteil, aber auch Hausaufgabenhilfe oder Deutschunterricht. Hier ist dann zumeist auch eine Koordinationsstelle für die Bürgerplattform angesiedelt.

Freiwillig und ehrenamtlich

Diese selbst verstehen sich als freiwilliger Zusammenschluss von Bürger*innen, Vereinen, Organisationen oder anderen Akteur*innen aus den jeweiligen Stadtteilen. Die Stadt Chemnitz definiert: „Die Arbeit der Bürgerplattformen ist in erster Linie auf die Belange des jeweiligen Stadtgebietes ausgerichtet. Sie verstehen sich als Ansprechpartner und Sprachrohr der im Gebiet wohnenden und tätigen Bürger*innen und Akteur*innen gegenüber von Verwaltung und Stadtrat.“ Ziel sei es, die Lebensbedingungen in den Stadtteilen zu verbessern.

Um ihre Arbeit zu erfüllen, haben sich die Bürgerplattformen neben den Koordinator*innen auch eine Steuerungsgruppe gegeben. Sie setzen sich aus ehrenamtlich aktiven Bürger*innen der verschiedenen Stadtteile zusammen. „In unserer Steuerungsgruppe sind dies bis zu zehn Bürger*innen. Voraussetzung für die Mitarbeit ist allein eine demokratische Grundhaltung. Außerdem sollen Mitglieder der Steuerungsplattform keine leitenden Angestellten der Stadtverwaltung, keine Stadträt*innen oder Mitglieder von anderen Parlamenten sein – diese haben bereits ausreichend andere Einflussmöglichkeiten.“

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Die Steuerungsgruppe kann selbst Veranstaltungen im Stadtteil mitorganisieren. So weist die Bürgerplattform Mitte-West regelmäßig bei einer Aktion am Ostersonntag Spaziergänger im Küchwald auf die eigene Existenz und die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung hin. In diesem Jahr beteiligte sich die Plattform auch an zwei Veranstaltungen auf den Interventionsflächen – beim „Tanz in den Mai“ am Küchwald-Pavillon sowie am Wochenende der Interventionsflächen im August am Tanznachmittag im Pleißenbachpark. Vor allem aber beschließt sie darüber, wie das sogenannte Bürgerbudget verwendet wird.

Kleine Förderung für kleine Projekte

Bisher stellte die Stadt Chemnitz den Bürgerplattformen je Einwohner*in in ihrem Stadtgebiet 1,61 Euro zur Förderung von Aktivitäten im Stadtteil zur Verfügung. „In unserem Stadtgebiet wären das für 2025 exakt 71.691,69 Euro“, hat Antje Richter, Koordinatorin im Stadtgebiet Chemnitz Mitte-West ausgerechnet. Die Plattform ist in den Stadtteilen Kaßberg, Altendorf und Schloßchemnitz tätig. Allerdings sind für dieses Jahr bereits Budgetkürzungen um fünf Prozent im Haushalt durchgesetzt, so wie bei vielen anderen Trägern von Kultur- und Sozialarbeit. Die Stadt will damit ihrem Defizit – für 2025 ist ein Minus von 58 Millionen Euro, für 2026 gar von 108 Millionen Euro veranschlagt – entgegenwirken. Im Bürgerbudget verbleibt für 2025 also eine Restsumme von etwa 65.400 Euro. Ähnliche Summen standen auch in den Vorjahren zur Verfügung.

Die wurden ganz unterschiedlich eingesetzt. Ein geringer Teil fließt bei Mitte-West in die Stadtteilzeitung „KASch“, die zweimonatlich in den Stadtteilen verteilt wird. Manches Geld wurde für Verschönerungen im Stadtteil eingesetzt, etwa den Bürgergarten am Pleißenbach, für Infotafeln an den Gewölbegängen unterm Kaßberg, einen Lageplan im Küchwald oder den interkulturellen Garten. Auch Müllsammelaktionen rund um den Schlossteich wurden in der Vergangenheit gefördert.

Anderes beantragten Vereine – die Stadtteile sind unter anderem mit dem Haus Arthur, dem Soziokulturellen Zentrum Kraftwerk, der Küchwaldbühne, der Parkeisenbahn, dem Eissportzentrum und den hier aktiven Clubs, dem Kaßberg-Gefängnis, dem Concordia-Park oder dem Kosmonautenzentrum reichlich gesegnet mit Einrichtungen, die auch weit über die Grenzen der eigenen Stadtteile hinaus Ausstrahlung entfalten. Auch städtische Einrichtungen wie etwa die Musikschule beantragten in der Vergangenheit erfolgreich Gelder aus dem Bürgerbudget. Und nicht zuletzt förderte die Bürgerplattform auch Veranstaltungsformate, die sich in den vergangenen Jahren erfolgreich etablieren konnten: das Stadtteilfest Pus(c)hen zum Beispiel, den 100-Meter-Weihnachtsmarkt, den Inklusionstag am Eissportzentrum oder das Nachbarschaftsfest Luisenhöfe.

„Das Bürgerbudget wurde in den vergangenen Jahren unterschiedlich stark in Anspruch genommen“, resümiert Antje Richter. Doch sprach sich zunehmend herum, dass man hier recht unbürokratisch und vor allem auch ohne Antragsfristen übers gesamte Jahr hinweg Fördergelder zwischen einigen Hundert und einigen Tausend Euro akquirieren konnte. „In diesem Jahr haben wir bis Anfang September Anträge über ein Gesamtvolumen von 60.000 Euro entschieden. Auch wenn nicht alle Anträge bewilligt werden, werden wir also unser Budget wahrscheinlich ausschöpfen“, prognostiziert die Koordinatorin. Wie das Geld verteilt wird, lässt die Stadt Chemnitz dabei relativ offen. Lediglich zwei Bedingungen gibt es: Zehn Prozent des Jahresbudgets müssen in die Kinder- und Jugendförderung fließen. Und zehn Prozent sollen Akteur*innen zugutekommen, die in den Vorjahren noch kein Geld beantragt haben. So soll der Wirkungskreis des Bürgerbudgets schrittweise vergrößert werden.

Einschnitte von 38 Prozent

Doch dieses Ansinnen wird im kommenden Jahr deutlich schwerer zu erfüllen sein. In der massiven Kürzungsliste, die die Verwaltung dem Stadtrat für den Haushalt 2025/26 vorgelegt hatte, standen auch die Bürgerplattformen. Nach Verwaltungsvorschlag sollte das Bürgerbudget auf Null reduziert werden – faktisch das Ende für die Bürgerplattformen als mikrolokale Fördermittelgeber. Dies wendete der Stadtrat ab. Geblieben ist ein Restbudget von 1,00 Euro pro Bürger*in – ein Einschnitt um 38 Prozent. Für die Bürgerplattform Mitte-West bedeutet das: Das Budget, was in den Stadtteilen zur Verfügung steht, sinkt von formal 71.700 auf etwa 45.000 Euro, wie Antje Richter ausgerechnet. Zudem droht auch weiterhin ein Einschnitt bei der Finanzierung der Koordinatorenstellen – wie die Träger damit umgehen werden, ist noch nicht ausgemacht.

„Wir hatten in den vergangenen Sitzungen unserer Steuerungsplattform schon erste schwierige Diskussionen, wie wir mit den Kürzungen 2026 umgehen wollen“, erklärt Antje Richter. Will man bei langjährig geförderten Projekten sparen – oder eher bei Neueinsteigern im Projektgeschäft? „Eine abschließende Meinung haben wir uns dazu noch nicht gebildet.“ Zu den Einsparmaßnahmen beim Bürgerbudget kommt ein weiterer Aspekt, auf den Richter hinweist: Weil in vielen Fördertöpfen die Mittel zurückgehen, könnten künftig auch Akteur*innen Anträge aufs Bürgerbudget stellen, die darauf bisher verzichtet haben: „Möglicherweise wird der Run auf weniger Geld also deutlich größer.“

Tanz in den Mai

Nicht zuletzt deshalb hat sich die Bürgerplattform Mitte-West auf Betreiben der Steuerungsplattform dem Bündnis „Allianz für Substanz. Für den Erhalt einer vielfältigen Zivilgesellschaft“ angeschlossen. Wie erfolgreich das Bündnis aus Trägern der Kultur-, Jugend- und Sozialarbeit sein wird, wird sich in den kommenden Monaten weisen. vtz

„Wir hatten in den vergangenen Sitzungen unserer Steuerungsplattform schon erste schwierige Diskussionen, wie wir mit den Kürzungen 2026 umgehen wollen.“

Antje Richter, Koordinatorin der Bürgerplattform Chemnitz Mitte-West

Koordinatorin Antje Richter auf Rad

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