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Wenn die Bühnen Hauptrollen übernehmen

Der Sommer lockt auch die eingefleischtesten Couchkartoffeln nach draußen – nicht nur mit Urlaub, Gartenzeit und Badespaß: Auch Kultur findet in den warmen Monaten oft unter freiem Himmel statt. Die kommunalen Theater in Südwestsachsen folgen diesem Trend. Um sich mit ihren Stücken nicht in die Quere zu kommen, setzt jede Spielstätte einen eigenen Fokus, angepasst an die Bedingungen der oft beeindruckenden Bühnen. Doch wo findet sich welche Theater-Nische?

Das Zwitschern echter Vögel in den Bäumen. Böiger Wind, der über die Bühne und durch die Reihen der Zuschauenden weht. Der ein oder andere kurze, im Sommer nicht vermeidbare Regenschauer, der zwangsweise ins jeweilige Stück eingebunden wird. In den Pausen gibt es nicht nur Piccolöchen, sondern auch Eis, Bier und Bratwurst: Sommertheater-Inszenierungen in der Region sind ein Erlebnis auf mehreren Ebenen, das weder Kulturschaffende noch Publikum missen wollen. „Alles ist viel freier als im traditionellen Theatersaal. Das ist nicht nur für Kinder und Jugendliche gut geeignet, sondern spricht auch Erwachsene an“, sagt Christoph Dittrich, Generalintendant der Theater Chemnitz, über das Konzept der Freiluft-Sommertheater. Jedes der vier kommunalen Theater der Region setzt dabei einen eigenen Schwerpunkt, lockt ein anderes Publikum. Die meisten Stücke bringt das Eduard-von-Winterstein Theater Annaberg-Buchholz (kurz ETO) im Sommer ans Publikum.

Kulturelle Grundversorgung auf der Felsenbühne

Hinter den Kulissen der Felsenbühne der Greifensteine ist von sommerlicher Entspannung in der Open-Air-Saison nichts zu spüren. Wie auch, liefert das Team des ETO doch seinem Publikum einen regelrechten Vorstellungs-Marathon. Acht Stücke stehen in diesem Sommer auf dem Programm, so viele wie in keinem anderen Sommertheater der kommunalen Häuser in der Region. Laut Moritz Gogg, Intendant des Theaters, hat dieses Vorgehen Tradition. „Wir sind kultureller Grundversorger für die gesamte Region. Und dafür braucht es ein breit gefächertes Angebot“, sagt er. Daher werden Kinderstücke, Musicals, Operetten und noch vieles mehr gezeigt – ein Kraftakt für das Team. Gleichzeitig ist die Naturbühne der Greifensteine seit Jahren ein großer Besuchermagnet, der nicht nur Menschen aus der Region, sondern auch Tourist*innen mit langer Anreise anlockt.

Ich möchte Sachen spielen, die einen doppelten oder sogar dreifachen Boden haben.

Moritz Gogg, Intendant des ETO

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Die Stückauswahl sei vor allem sommerlich und entsprechend eher leicht, abgestimmt auf Urlauber*innen und Familien in den Ferien. „Es zeigt sich in diesen Zeiten, dass die Menschen unterhalten werden wollen“, sagt Moritz Gogg. Die Auswahl der diesjährigen Stücke orientiere sich an diesem Bedarf. Gleichbedeutend mit Flachheit sei das aber nicht, die Stücke sollten dennoch zum Nachdenken anregen – das zeige schon das diesjährige Spielzeitmotto „Wir werden menschlich Gewissen sein“. „Das Spielzeitmotto zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Saison. Es ist mein Anliegen, Sachen zu spielen, die einen doppelten oder sogar einen dreifachen Boden haben“, sagt der Theaterintendant.

In „Der Vogelhändler“, einer populären Operette von Carl Zeller, werde etwa ein „sehr ausbeuterisches Verhältnis zu Frauen gezeigt“, gleichzeitig handele es sich aber um einen hochdramatischen und oft auch humorvollen Stoff. Für Moritz Gogg ist dies ein Beispiel, dass auch in unterhaltsameren und leichteren Stoffen ein Kern steckt, der zum Nachdenken anregen könne.

Sein Favorit ist die Inszenierung des berühmten Stückes „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal. Die Neu-Inszenierung des Stückes feiert am 26. Juni vor der St. Annenkirche mitten in der Stadt vor historischer Kulisse Premiere – für Moritz Gogg eine Gelegenheit, als frischgebackener Intendant einen Vorgeschmack auf seine bevorzugte Ästhetik zu geben, die er selbst als sinnlich-abstrakt bezeichnet.

Wechselspiele in Westsachsen

Das Theater Plauen-Zwickau darf man getrost als eine der wichtigsten Kulturinstitutionen in Westsachsen und Vogtland beschreiben – ein flächenmäßig ziemlich großes Gebiet. Um alle Regionen zu bedienen, griff das Theater Plauen-Zwickau zu einem Kniff: Es plant zweijährig. Dann, wie Pressesprecherin Carolin Eschenbrenner erklärt, werden vor allem das Parktheater in Plauen und die Freilichtbühne am Schwanenteich in Zwickau bespielt. Das Repertoire wird also aufgeteilt und erst auf die eine, dann auf die andere Bühne gebracht. Konkret kommt am Schwanenteich in diesem Jahr das Musical-Comedy-Stück „Rock of Ages“ von Chris D´Arienzo zur Aufführung, welches voriges Jahr schon im Plauener Parktheater für Applaus sorgte. Dieses hingegen lädt im Juli zur Opera buffa „Der Liebestrank“, die im vergangenen Sommer in Zwickau gezeigt wurde. Ergänzend wird das Kinderstück „Die Kuh Rosmarie“ im Innenhof des August Horch Museums gezeigt. In Plauen wird zudem der Hof des dortigen Theaters in der Innenstadt zur neuen Spielfläche. Dort darf sich das Publikum auf eine Inszenierung von Molières „Der Geizige“ freuen, ein Klassiker.

Operetten mittem im See

Während das Erzgebirgstheater vor allem auf Vielfalt setzt, mausert sich das Sommerprogramm des Mittelsächsischen Theaters Freiberg und Döbeln auf der Seebühne Kriebstein langsam zur Destination für Kenner*innen und Operettenfans: Wenn die Sonne langsam am Horizont versinkt, den Himmel über der Talsperre Kriebstein in magisches Licht taucht, während auf der Seebühne Primadonnen ihre Arien singen, Künstler*innen von Liebe, Leid und Lust erzählen, dann erweicht auch das härteste Herz. Viele Menschen kommen jedes Jahr nach Mittelsachsen, um im Sommerprogramm die Operetteninszenierungen der Theater Freiberg und Döbeln auf der Seebühne Kriebstein zu besuchen – sie liegt an einer Talsperre inmitten sehenswerter Landschaft und ist auch ohne Theater ein beliebtes Ausflugsziel.

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"Die Bühne liegt von Wasser umschlossen direkt im See und ist damit einmalig in der Region." Anfangs habe man sich vor Ort an vielfältigen Bühnenformen versucht. „Der Intendant Ralf-Peter Schulze konzentrierte sich jedoch auf Operettenfestspiele“, erzählt Christoph Nieder, seines Zeichens Pressedramaturg des Theaters. Seitdem wird in jeder Spielzeit ein Konzert gespielt und eine große Operettenpremiere gefeiert, die dann im Laufe des Sommers mehrfach auf die Bühne gebracht wird. „Die Inszenierungen sind dann auch in Aufbau und Bühnenbild sehr aufwändig“, so Nieder. In diesem Jahr ist die Operette „Der Graf von Luxemburg“ von Franz Lehár an der Reihe, nach der Saison ist es „abgespielt“ – Theaterjargon für: Es wird danach aus dem Spielplan genommen.

In Ergänzung dazu zeigt das Mehrspartenhaus traditionell noch Schauspielstücke auf dem Freiberger Schlosshof. Im Vorjahr habe man zudem Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ am Stollen „Alte Elisabeth“ präsentiert. Die Inszenierung sorgte ob ihres Aufwandes, aber auch dank des besonderen Spielorts für viel, auch überregionale Aufmerksamkeit. Eine Wiederholung des Spektakels plant das Freiberger Schauspiel jedoch vorerst nicht. „Es war ein sowohl technischer als auch genehmigungstechnischer Kraftakt, wirklich ungeheuer kompliziert“, erinnert sich Christoph Nieder. Er plant jedoch mit seinem Kollegium das Erschließen weiterer, auch kleinerer Spielstätten, verteilt in ganz Mittelsachsen.

Intendant schafft Tratition

Nicht nur die Theater der Landkreise setzen auf mehrere Spielstätten im Sommer. Auch in Chemnitz wird nach diesem Modell verfahren – das Theater bleibt dabei innerhalb der Stadtgrenzen. Vor allem Familien mit Kindern, aber auch generationenübergreifend Junggebliebene pilgern jeden Sommer in den Chemnitzer Küchwald, um sich dort an berühmten Kinderstücken zu erfreuen. Sie begleiten Ronja und Finn durch die Räuberburg, lernen mit der Kleinen Hexe das Zaubern oder freuen sich über Pippi Langstrumpfs Frechheit.

Die Lindgren-Figur Pippi war die erste Kinderheldin, die die Theater Chemnitz auf die Naturbühne brachten. „Als ich 2013 als Intendant angetreten bin, war das eine der Sachen, die ich gemeinsam mit Schauspieldirektor Carsten Knödler organisiert habe“, erinnert sich Christoph Dittrich. Als er in Chemnitz ankam, spielte der Verein Küchwaldbühne gerade mit Gedanken zur intensiveren Wiederbelebung des Geländes, Dittrich wollte die von Wald umgebene Bühne unbedingt auch mit seinem Theater bespielen. Im Vergleich zu den Sommerspielstätten der Region sieht Dittrich einen großen Vorteil: „Wir haben eine Naturbühne mitten in der Stadt, ein großes Areal mitten im Wald. Zudem ist die Bühne gut erreichbar, anders als etwa die Greifensteine. So hat sie einen eher städtischen Fokus“, erklärt der Intendant.

2014 war es so weit: Das Schauspielensemble spielte „Pippi Langstrumpf“ – ein großer Erfolg, der sich mit jährlich neuen Stücken bis heute fortsetzt. Im Sommer 2022 wird ab dem Juli „Peter Pan“ gespielt. Die Outdoor-Erfahrungen erwiesen sich als Glücksfall: Während des Pandemiesommers 2020, als die regulären Spielstätten lang geschlossen bleiben mussten, konnte in Windeseile ein Open-Air-Spielplan mit Aufführungen von Musiktheater, Figurentheater, Orchester und Schauspiel geplant und realisiert werden.

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Wir haben eine Naturbühne mitten in der Stadt, ein großes Areal mitten im Wald - und dennoch gut erreichbar.

Dr. Christoph Dittrich, Generalintendant der Theater Chemnitz

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Inzwischen setzen die Theater Chemnitz auf der Küchwaldbühne aber wieder auf Kinderstücke. Das sei „dem Naturcharakter der Bühne entsprechend“, so Dittrich. Seit vorigem Jahr bespielen die Theater Chemnitz zusätzlich noch einen weiteren Raum. 2021 versuchte sich das Chemnitzer Figurentheater erstmals im Garten des Kulturhauses Arthur auf dem Kaßberg mit dem Kästner-Stück „Das doppelte Lottchen“. Das Stück kam so gut an, dass es nach dem Sommer in den regulären Spielplan des Theaters übernommen wurde. Derzeit wird das nächste Theaterexperiment im Garten an der Hohen Straße geprobt: Regisseurin Kathrin Brune inszeniert eine Adaption des Romans „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann. Das Stück für Erwachsene feiert am 24. Juni Premiere.

Laut dem Intendanten sei die Spielstätte bewusst als urbane Situation gewählt worden, um keine Eigenkonkurrenz zur Küchwaldbühne zu schaffen. Eine künftige Baustelle sieht Christoph Dittrich noch beim Musiktheater im Sommer. Vor fünf Jahren wurde das beliebte Musical „My Fair Lady“ auf dem Chemnitzer Theaterplatz gespielt. „Das ist aufwändig mitten in der Innenstadt. Der Platz hat beispielsweise riesige Lampen, um die herumgebaut werden muss“, sagt er. Das Musiktheater zog sich zurück ins Opernhaus. Ganz aufgeben möchte Christoph Dittrich das Projekt aber nicht. „Es traf die Seele der Stadt“, sagt er – was vor allem in Hinblick auf das Jahr 2025 interessant sein könnte, in dem Chemnitz Kulturhauptstadt Europas sein wird. sah

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